Die Totenleserin1
schon in seinem kindlichen Alter geschworen, dass er auf einen Kreuzzug gehen würde, wenn er groß war. Sie ließen sogar ein kleines Schwert für ihn machen, Eleonor und Henry, und nach dem Tod des Jungen wollte Eleonor es in das Heilige Land bringen lassen.«
Ja, dachte Adelia gerührt. Dergleichen hatte sie oft in Salerno gesehen: ein Vater, der das Schwert seines Sohnes trug, ein Sohn das seines Vaters, auf einem Stellvertreterkreuzzug unterwegs nach Jerusalem, um zu büßen oder ein Versprechen einzulösen, manchmal das eigene, manchmal das des Verstorbenen, das unerfüllt geblieben war.
Noch vor einem Tag wäre sie vielleicht nicht so bewegt gewesen, aber es war, als hätte Simons Tod und diese neue, unverhoffte Leidenschaft ihr Herz für all die schmerzliche Liebe in der Welt geöffnet.
Wie jammervoll sie doch war.
Rowley sagte: »Lange Zeit weigerte sich der König, irgendwen dafür zu entsenden. Er war der Meinung, dass Gott einem dreijährigenKind nicht das Paradies verweigern würde, nur weil es ein Versprechen nicht eingelöst hatte. Doch die Königin gab keine Ruhe, und so bestimmte er – wann mag das gewesen sein, vor mittlerweile fast sieben Jahren, würde ich schätzen – Guiscard de Saumur, einen seiner angevinischen Onkel, das Schwert nach Jerusalem zu bringen.«
Wieder schmunzelte Rowley in sich hinein. »Für alles, was er tut, hat Henry immer mehr als nur einen Grund. Es war eine bewundernswerte Wahl, ausgerechnet Lord Guiscard mit dem Schwert zu entsenden. Stark, wagemutig und mit dem Osten vertraut, aber auch hitzköpfig wie alle Angevinen. Ein Streit mit einem seiner Vasallen bedrohte den Frieden in Anjou, und der König hoffte, dass sich die Dinge durch Guiscards längere Abwesenheit wieder beruhigen würden. Er sollte von einer berittenen Wache begleitet werden. Außerdem hielt Henry es für ratsam, einen seiner eigenen Männer mitzuschicken, einen durchtriebenen Burschen mit diplomatischen Fähigkeiten oder, wie er es ausdrückte: >Jemanden, der stark genug ist, den Kerl vor Ärger zu bewahren.<«
»Euch?«, fragte Adelia.
»Mich«, sagte Rowley selbstgefällig. »Henry schlug mich damals zum Ritter, weil ich der Schwertträger sein sollte. Eleonor selbst schnallte es mir auf den Rücken, und von dem Tag an hatte ich es stets bei mir, bis ich es zurück zum Grab des kleinen William brachte. Nachts nahm ich es ab und schlief neben ihm. Und so machten wir uns auf nach Jerusalem.«
Der Name der Stadt legte sich über den Garten und die beiden Menschen darin, erfüllte die Luft mit der Frömmigkeit und dem Schmerz der drei verfeindeten Religionen, die wie Planeten ihre eigenen lieblichen Akkorde summten, während sie unaufhaltsam aufeinander zurasten.
»Jerusalem«, wiederholte Rowley, und dann sprach er dieWorte der Königin von Saba:
»Und siehe, nicht die Hälfte hat man mir gesagt.«
Wie verzaubert war er über die von seinem Erlöser geheiligten Steine geschritten, war auf Knien über die Via Dolorosa gerutscht, hatte sich in der Grabeskirche weinend niedergeworfen. Damals war es ihm gut erschienen, dass dieser Nabel aller Tugend durch die Männer des ersten Kreuzzuges von heidnischer Tyrannei gereinigt worden war, so dass die christlichen Pilger ihren Heiland wieder so anbeten konnten, wie er es nun tat. Er war übermannt gewesen von Bewunderung für die Ritter.
»Bis heute weiß ich nicht, wie sie das geschafft haben.« Er schüttelte den Kopf, noch immer verwundert. »Fliegen, Skorpione, Durst, die Hitze – dein Pferd krepiert unter dir, du bekommst Brandblasen, wenn du deine verdammte Rüstung anfasst. Und sie waren in der Unterzahl, von Krankheiten dahingerafft. Nein, Gottvater war mit diesen frühen Kreuzfahrern, sonst hätten sie die Heimat Seines Sohnes niemals zurückerobern können. Zumindest dachte ich das damals.«
Es gab auch noch andere, irdischere Freuden. Die Abkömmlinge der ersten Kreuzfahrer hatten sich in dem Land, das sie Outremer nannten, eingerichtet. Wahrhaftig, es war schwierig gewesen, sie von den Arabern zu unterscheiden, deren Lebensstil sie jetzt nachahmten.
Der Steuereintreiber beschrieb ihre Marmorpaläste, die Höfe mit Brunnen und Feigenbäumen, die Bäder – »Ich schwöre Euch, herrliche, in den Boden eingelassene, maurische Bä der« –, und der schwere, würzige Duft der Verführung durchdrang den kleinen Garten.
Von all den Rittern der Gruppe war besonders Rowley von der entrückten, exotischen Heiligkeit des Ortes sowie seiner
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