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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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noch irgendeine Frau in irgendeinem Bett.
    Und er wollte sie so, wie sie war: Er wollte ihre »Hmms«, wenn sie sich konzentrierte, ihren schauerlichen Geschmack bei der Wahl ihrer Kleidung – obwohl sie auf dem Fest im Grantchester Manor wahrhaftig hinreißend ausgesehen hatte –, er wollte die Wichtigkeit, die sie allen Menschen zusprach, selbst den Ärmsten,
besonders
den Ärmsten, er wollte ihren Ernst, der sich in einem erstaunlichen Lachen verlieren konnte, die Art, wie sie die Schultern straffte, wenn sie sich herausgefordert fühlte, die Art, wie sie diese scheußlichen Arzneien anrührte, und die Sanftheit ihrer Hände, wenn sie ihm den Becher an die Lippen hielt, die Art, wie sie ging, die Art, wie sie einfach alles machte. Sie hatte eine Qualität, die ihm völlig neu war. Sie
war
Qualität.
    »Ach, zum Teufel damit«, sagte Sir Rowley in den leeren Raum hinein, »ich werde die Frau heiraten müssen.«
    Die Fahrt den Fluss hinauf war schön, aber fruchtlos. Angesichts des Ziels, das sie verfolgte, schämte Adelia sich, dass sie es so genoss, durch Tunnel aus überhängenden Ästen von Bäumen zu gleiten, um dann wieder in strahlendes Sonnenlicht zu tauchen, wo Frauen vom Wäschewaschen aufblickten, um zu rufen und zu winken, wo ein Otter gewitzt neben ihrem Kahn herschwamm, während auf der gegenüberliegenden Seite Männer und Hunde nach ihm suchten, wo Vogelfänger ihre Netze ausbreiteten, wo Kinder Forellen fingen, wo meilenweit keine Menschenseele am Ufer zu sehen war und sich zwitschernde Grasmücken wagemutig auf Schilfhalmen wiegten. Aufpasser hatte sich in irgendetwas gewälzt, das seine Anwesenheit im Kahn unzumutbar machte, und trabte nun trübselig am Ufer entlang, während Mansur und Ulf sich beim Staken abwechselten und versuchten, sich gegenseitig an Geschicklichkeit zu überbieten. Das sah so einfach aus, dass Adelia es auch einmal versuchen wollte, mit dem Ergebnis, dass sie sich wie ein Affe an die Stakstange klammerte, während der Kahn ohne sie weiterfuhr und sie von Mansur gerettet werden musste, weil Ulf sich vor Lachen nicht mehr rühren konnte.
    Zahllose Hütten, Klausen, Unterstände von Vogelfängern säumten den Fluss. Bei allen war davon auszugehen, dass sie nachts verlassen waren, und alle lagen so einsam, dass Schreie, die darin ausgestoßen wurden, nur von Tieren gehört werden würden. Es waren so viele, dass es einen Monat gedauert hätte, um sie alle zu untersuchen, und ein Jahr, um den vielen ausgetretenen Pfaden und Stegen zu folgen, die durch das Schilfgras zu weiteren Hütten führten.
    Nebenläufe flossen in die Cam, manche waren bloß Bäche, andere recht groß und schiffbar. Dieses weite flache Land, so erkannte Adelia, war von Gewässern wie von Adern durchzogen. Dammwege, Brücken, Straßen waren in schlechtem Zustandund häufig unpassierbar, aber mit einem Boot konnte jeder überallhin gelangen.
    Während Aufpasser Vögel jagte, rasteten die anderen drei Auskundschafter auf einer Bank neben dem Bootshaus von Grantchester, wo Sir Joscelin seine Stechkähne lagerte, aßen Brot und Käse und tranken die Hälfte von dem Apfelmost, den Gyltha ihnen als Wegzehrung mitgegeben hatte.
    Das Wasser malte stille, flirrende Spiegelungen auf Wände, an denen Ruder, Stakstangen und Angelzeug hingen. Nichts kündete von Tod. Zudem bestätigte ein Blick auf den Herrensitz in der Ferne, dass Sir Joscelins Haus wie alle hochherrschaftlichen Häuser viel zu belebt war, als dass das Grauen hier hätte unbemerkt bleiben können. Die Milchmägde, Kuhhirten, Reitknechte, Feldarbeiter und Hausdiener, die in der Halle schliefen, sie alle hätten an der Entführung der Kinder beteiligt sein müssen, damit der Kreuzfahrer in seinem eigenen Haus hätte morden können.
    Auf der Fahrt flussabwärts zurück zur Stadt spuckte Ulf ins Wasser. »Verdammte Zeitverschwendung war das.«
    »Nicht ganz«, widersprach Adelia. Der Ausflug hatte ihr etwas bewusst gemacht, was ihr zuvor nicht klar gewesen war. Ob die Kinder nun freiwillig mit ihrem Entführer mitgekommen waren oder nicht, sie hätten gesehen werden müssen. Jedes Boot auf dieser Strecke unterhalb der Großen Brücke hatte einen flachen Boden und niedrige Bordwände, es wäre daher unmöglich, jemanden an Bord zu verstecken, der größer als ein Neugeborenes war, es sei denn, er oder sie läge flach ausgestreckt unter den Ruderbänken. Also hatten die Kinder sich entweder selbst versteckt oder aber sie waren irgendwie bewusstlos gemacht

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