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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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worden und dann mit einem Umhang, einem Sack, irgendetwas bedeckt worden, um sie an den Ort zu bringen, wo sie sterben sollten.
    Das erklärte sie Mansur und Ulf.
    »Dann benutzt er vielleicht gar kein Boot«, sagte Mansur. »Der Teufel wirft sie sich über den Sattel. Nimmt irgendeine abgelegene Route über Land.«
    Es war möglich. Die meisten Behausungen in diesem Teil von Cambridgeshire lagen an einem Wasserweg, und das Landesinnere war praktisch nur von Weidetieren bevölkert, aber Adelia glaubte es nicht. Dass der Fluss beim Verschwinden der Kinder eine so beherrschende Rolle gespielt hatte, sprach dagegen.
    »Dann ist es das Thebaicum«, vermutete Mansur.
    »Opium?« Schon eher. Adelia war überrascht und froh gewesen, dass die östliche Mohnpflanze so üppig in dieser Gegend von England gedieh und sie deren Eigenschaften nutzen konnte, aber es hatte sie auch beunruhigt. James, der Apotheker, der nachts seine Geliebte besuchte, destillierte daraus ein alkoholisches Gebräu, das er St.-Gregory-Likör getauft hatte und nur unter der Ladentheke verkaufte, damit die Geistlichen nichts davon mitbekamen. Sie verdammten die Mixtur als gottlos, weil sie die Fähigkeit besaß, Schmerzen zu lindern, und das sollte doch ausschließlich dem Herrn überlassen bleiben.
    »Genau«, sagte Ulf. »Der gibt ihnen ’nen Schluck St. Gregory.« Er kniff die Augen zusammen und bleckte die Zähne.
»Nimm mal ein Schlückchen, mein Süßer, und komm mit mir ins Paradies.«
    Seine Parodie des schmeichelnden Bösen ließ die Wärme des Frühlings erkalten.

    Adelia überlief es erneut kalt, als sie am nächsten Morgen im Heiligtum des mit Bleifenstern versehenen Kontors auf dem Burgberg saß. Der Raum war vollgestopft mit Dokumenten und Truhen, an denen schwere Schlösser hingen, ein kantiger, männlicher Raum, der Bittsteller in Geldnot einschüchternsollte und für den Empfang von Frauen offenbar gar nicht gedacht war. Master De Barque von den Brüdern De Barque ließ sie nur widerwillig eintreten und lehnte ihre Bitte rundweg ab.
    »Aber der Kreditbrief war auf Simon aus Neapel und meinen Namen ausgestellt«, protestierte Adelia und hörte, wie ihre Stimme von den Wänden verschluckt wurde.
    De Barque streckte einen Finger aus und schob ihr quer über den Tisch eine Pergamentrolle mit Siegel zu. »Lest selbst, Mistress, falls Ihr des Lateinischen mächtig seid.«
    Sie las. Zwischen all den »vordem« und »wodurch« und »entsprechend« garantierten die Bankiers aus Lucca, die Aussteller des Kreditbriefes, den Brüdern De Barque aus Cambridge im Namen des Königs von Sizilien jede Summe zu erstatten, die sie an Simon aus Neapel, den Nutznießer, auszahlten. Ein weiterer Name wurde nicht erwähnt.
    Sie hob den Kopf und blickte in das fette, ungeduldige, gleichgültige Gesicht. Wie leicht man doch beleidigt werden konnte, wenn man kein Geld hatte. »Aber es war vereinbart«, sagte sie, »dass ich Master Simon bei diesem Unternehmen gleichgestellt sein sollte. Ich bin dafür auserwählt worden.«
    »Das glaube ich Ihnen gerne, Mistress«, sagte Master De Barque.
    Der denkt, ich bin als Simons Dirne mitgereist. Adelia setzte sich auf und straffte die Schultern. »Eine Anfrage bei der Bank in Lucca oder bei König William in Sizilien wird mir Recht geben.«
    »Dann stellt sie, Mistress. Derweil …« Master De Barque griff nach einer Glocke auf dem Tisch und läutete, um seinen Schreiber zu rufen. Er war ein viel beschäftigter Mann.
    Adelia rührte sich nicht vom Fleck. »Das dauert Monate.« Sie hatte nicht einmal genug Geld, um den Brief zu schicken. InSimons Zimmer hatte sie bloß ein paar Pennys gefunden; entweder er hatte gerade vorgehabt, sich Nachschub zu holen, oder er hatte alles Geld in der Börse gehabt, die sein Mörder ihm abgenommen hatte. »Ich möchte mir etwas borgen, bis die Antwort …«
    »Wir verleihen nicht an Frauen.«
    Sie widerstand dem Griff des Schreibers, der ihren Arm gefasst hatte, um sie hinauszuführen. »Und was soll ich jetzt tun?« Sie musste die Apothekerrechnung bezahlen, Simons Grabstein von einem Steinmetz beschriften lassen, Mansur brauchte neue Schuhe,
sie
brauchte neue Schuhe …
    »Mistress, wir sind ein christliches Haus. Wendet Euch doch an die Juden. Das sind des Königs liebste Wucherer, und wie ich höre, steht Ihr ihnen nahe.«
    Da war es, in seinen Augen. Sie war eine Frau und ein Judenliebchen.
    »Ihr wisst um die Lage der Juden«, sagte sie verzweifelt. »Sie haben derzeit keinen

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