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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Schwester, die sie anklagt – deren einziges Verbrechen offenbar darin bestand, ihr zu folgen, weil sie um ihre Sicherheit fürchtete?«
    Prior Geoffrey öffnete den Mund, wurde aber von dem Schreiber Hubert Walter gebremst, der noch immer amüsiert wirkte. »Mylords, ich denke, wir dürfen es als erwiesen betrachten, dass alle vier Kinder starben, ehe diese Frau überhaupt englischen Boden betrat. Wir können sie zumindest von diesen Morden freisprechen.«
    »Ach ja?« Der Archidiakon war enttäuscht. »Dennoch, wir haben nachgewiesen, dass sie eine Verleumderin ist und dass sie, wie sie selbst ausgesagt hat, von dem Schacht und seinem Zweck wusste. Ich finde das eigenartig, Mylords, ich finde das verdächtig.«
    »Ich auch«, warf der Bischof von Norwich mit einem Gähnen ein. »Lasst dieses verdammte Weib auspeitschen und Schluss.« »Kommt Ihr alle zu diesem Urteil?«
    Dem war so.
    Adelia schrie, nicht für sich selbst, sondern für die Kinder von Cambridgeshire. »Lasst sie nicht frei, ich bitte Euch. Sie wird wieder töten.«
    Die Richter hörten und sahen sie nicht mehr – ihre Aufmerksamkeit galt jetzt jemandem, der das Refektorium von der Küche aus betrat, wo er sich eine Schale Specksuppe genommen hatte, aus der er jetzt löffelte.
    Als er die Versammlung erblickte, blinzelte er. »Ein Gerichtsverfahren, ja?«
    Adelia rechnete damit, dass dieser in schlichtes Leder gekleidete Mann dahin zurückgescheucht werden würde, wo er hergekommen war. Zwei Saurüden kamen hinter ihm hergetrottet – ein Jäger also, der versehentlich hier hineingeraten war. Doch die Richterlords hatten sich erhoben. Verbeugten sich. Blieben stehen.
    Henry Plantagenet, König von England, Herzog der Normandie und Aquitaniens, Graf von Anjou, hievte sich auf den Refektoriumstisch, ließ die Beine baumeln und den Blick durch den Raum schweifen. »Und?«
    »Kein Gerichtsverfahren, Mylord.« Der Bischof von Norwich war plötzlich so wach und aufgeregt wie eine Lerche. »Eine Versammlung, bloß eine Voruntersuchung zum Fall der ermordeten Kinder. Der Mörder ist entlarvt, aber
jenes …«,
erdeutete in Adelias Richtung, »jenes Weib beschuldigt diese Nonne von St. Radegund der Mittäterschaft.«
    »Ah ja«, sagte der König wohlgefällig, »hab mir doch gleich gedacht, dass unsere geistlichen Lords ein wenig überrepräsentiert sind. Wo ist De Luci? De Glanville? Die weltlichen Lords?«
    »Wir wollten ihre Nachtruhe nicht stören, Mylord.«
    »Sehr rücksichtsvoll«, sagte Henry noch immer wohlgefällig, obwohl der Bischof zitterte. »Und wie kommen wir voran?«
    Hubert Walter hatte seinen Platz verlassen, trat zum König und hielt ihm das Pergament hin.
    Henry nahm es und stellte die Suppenschale beiseite. »Ich hoffe, es stört niemanden, wenn ich mich mit dem Fall vertraut mache – er hat mir nämlich einigen Ärger bereitet. Meine Juden aus Cambridge sind deshalb im Burgturm eingesperrt worden.«
    Durchaus sanft fügte er hinzu, doch wieder erfasste die Richter eine beklommene Unruhe: »Und ich habe dadurch Einkünfte verloren.«
    Während er das Pergament überflog, bückte er sich und hob eine Handvoll Binsen vom Boden auf. Im Raum war es mucksmäuschenstill geworden, zu hören waren nur das Prasseln des Regens gegen die hohen Fenster und ein zufriedenes Nagen von einem der Hunde, der unter dem Tisch einen Knochen gefunden hatte.
    Adelia zitterten so heftig die Beine, dass sie nicht sicher war, ob sie sie noch lange tragen würden. Dieser schlichte, unscheinbare Mann hatte eine unbestimmte Furcht ins Refektorium getragen.
    Er hielt das Pergament an einen Kerzenleuchter auf dem Tisch, um besser lesen zu können, und begann zu murmeln: »Junge sagt, von Nonne verschleppt worden … vom Gesetz nicht anerkannt …hmm.« Er legte einen der Binsenstängel in seiner Hand neben den Leuchter. Geistesabwesend sagte er: »Ausgezeichnete Suppe, Prior.«
    »Danke, Mylord.«
    »Nonne häufig auf Fluss unterwegs …« Eine zweite Binse gesellte sich zur ersten. »Opiumtinktur …« Diesmal wurde die Binse quer über die beiden anderen gelegt. »Nächtelange Gebete mit einer Einsiedlerin …« Er blickte auf. »Ist die Einsiedlerin als Zeugin gerufen worden? Ach nein, ich vergaß – das hier ist ja kein Gerichtsverfahren.«
    Adelias Beine wurden noch schwächer, doch diesmal, weil sich Hoffnung in ihr regte, so zart, dass sie kaum wagte, sie wahrzunehmen. Henry Plantagenets Binsen, die er ordentlich überkreuz stapelte, als wollte er ein Muster

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