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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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antwortete, fügte er hinzu: »In der Tat, ich muss sagen, ich würde mich freuen, Euch an ihn gebunden zu sehen.«
    Gebunden.
    »Adelia, mein liebes Kind.« Prior Geoffrey nahm ihre Hand.
    »Der Mann hat eine Antwort verdient.«
    Das hatte er. Und er bekam sie.
    Die Tür ging auf, und Bruder Gilbert stand auf der Schwelle, verlieh der Szene, die sich ihm darbot – sein Prior in Gesellschaft zweier Frauen in einem Schlafgemach –, einen unanständigen Beigeschmack. »Die Lords sind versammelt, Prior.« »Dann müssen wir zu ihnen.« Prior Geoffrey hob Adelias Hand und küsste sie, doch das einzige Unanständige war das Zwinkern, mit dem er Gyltha bedachte – die zurückzwinkerte.

    Die herbeigerufenen Lords hatten sich nicht in der Kirche versammelt, sondern im Refektorium, damit die Mönche ihre Andachten an gewohntem Ort und zur gewohnten Stunde abhalten konnten. Und da sie das Nachtmahl längst eingenommen hatten und es noch einige Stunden bis zum Frühstück waren, würden sie die Versammlung nicht stören müssen.
    Oder je erfahren, dass sie überhaupt stattgefunden hatte, dachte Adelia.
    Sie nannten es eine Versammlung, doch im Grunde war es ein Gerichtsverfahren, und zwar eines, bei dem
nicht
über die junge Nonne geurteilt werden sollte, die züchtig mit artig gesenktem Kopf und demütig gefalteten Händen zwischen der Priorin und Schwester Walburga stand.
    Nein, angeklagt war Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar, eine Fremde, die, so der Vorwurf einer aus dem Bett geholten, über aus erzürnten Priorin Joan, eine ungerechtfertigte, obszöne, ja
teuflische
Anschuldigung gegen ein unschuldiges und frommes Mitglied des heiligen Ordens von St. Radegund erhoben hatte und deshalb ausgepeitscht werden sollte.
    Adelia stand mitten in der Halle, und die Kobolde, mit denen die Balken des Hammerdachs verziert waren, grinsten auf sie herab. Der lange Tisch mit den Bänken war an eine Seitenwand gerückt worden, so dass die Stuhlreihe der Richter am hinteren Ende etwas versetzt wirkte und die sonst so schönen Proportionenaus Adelias Blickwinkel verdarb, was ihre ohnehin schon vor Fassungslosigkeit, Wut und, zugegeben, nackter Angst bebenden Nerven noch weiter reizte.
    Denn ihr gegenüber saßen drei der wandernden Richter, die zur Assise nach Cambridge gekommen waren – die Bischöfe von Norwich und Lincoln und der Abt von Ely. Sie vertraten Englands Gesetze. Sie konnten ihre juwelenberingten Fäuste ballen und Adelia wie eine Duftkugel zerquetschen. Außerdem waren sie gereizt, weil sie aus ihrem nach einem langen Verhandlungstag wohlverdienten Schlaf gerissen worden waren und sich in finsterer Nacht und bei strömendem Regen von der Burg nach St. Augustine begeben mussten – und böse auf sie. Sie spürte die Feindseligkeit, die von ihnen ausging, so stark, dass die Binsen auf dem Boden durch den Raum geweht und zu einem Häufchen vor Adelias Füßen zusammengetrieben wurden.
    Der Feindseligste war jedoch der Erzdiakon von Canterbury, der zwar kein Richter war, sich aber als Sprecher des verstorbenen heiligen Thomas à Becket sah und auch von den anderen so betrachtet wurde. Anscheinend meinte er, dass jeder Angriff auf ein Mitglied der Kirche – so wie Adelias Anklage gegen Veronica, die Nonne von St. Radegund – ungefähr vergleichbar war mit der Tat der königlichen Ritter, die Beckets Hirn auf den Boden der Kathedrale spritzen ließen.
    Prior Geoffrey war befremdet gewesen, dass ausschließlich Kirchenmänner zu Gericht sitzen sollten. »Mylords, ich hatte gehofft, dass auch einige nichtkirchliche Lords anwesend wären.«
    Sie hießen ihn schweigen. Schließlich waren sie seine spirituellen Oberen. »Das ist eine rein kirchliche Angelegenheit.«
    Bei ihnen war ein junger Mann in nichtklerikaler Kleidung, den das Ganze ein wenig zu amüsieren schien und der ein tragbaresSchreibpult nutzte, um sich auf einem Stück Pergament Notizen zu machen. Seinen Namen kannte Adelia nur, weil einer der anderen ihn laut angesprochen hatte – Hubert Walter. Hinter ihren Stühlen hatte eine Auswahl von Assisenhelfern Aufstellung genommen – zwei Schreiber, von denen einer im Stehen schlief, ein Soldat, der vergessen hatte, seine Nachtmütze abzunehmen, ehe er den Helm aufsetzte, und zwei Gerichtsdiener mit Handschellen am Gürtel und einer Keule über der Schulter.
    Adelia stand allein da, doch immerhin hatte Mansur eine Weile neben ihr gestanden.
    »Wer ist … das da, Prior?«
    »Das ist der Diener von Mistress Adelia,

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