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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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gemäßigt. Die Hände, die vom vielen Reiten schwielig waren, steckten in ihren Ärmeln. Sie war vom Scheitel bis zur Sohle die Leiterin eines wohlgeordneten Hauses des Herrn. »Mylords, ich verbürge mich für die Schicklichkeit und Enthaltsamkeit dieser Nonne ebenso wie für ihre Hingabe an den Herrn – oftmals, wenn meine anderen Nonnen dem Müßiggang frönten, lag Schwester Veronica vor unserem kleinen Heiligen, Peter aus Trumpington, auf den Knien.«
    Aus der Küche drang ein gedämpftes Quieken.
    »Den sie in den Tod gelockt hat«, sagte Adelia.
    »Hütet Eure Zunge, Weib«, befahl der Archidiakon.
    Die Priorin sah Adelia an, zeigte mit dem Finger auf sie, und ihre Stimme wurde zum Jagdhorn.
»Richtet,
Mylords. Richtet zwischen
dieser da,
einer verleumderischen Natter, und
dieser hier,
einem Inbegriff von Frömmigkeit.«
    Bedauerlicherweise hatte Gyltha ihr aus dem Haus des alten Benjamin dasselbe Kleid gebracht, das sie zum Fest im Grantchester Manor getragen hatte, denn das Mieder war zu knapp und die Farbe zu grell, um im Vergleich zum schlichten, nüchternen Schwarzweiß der Nonne einen guten Eindruck zu machen. Ebenso bedauerlich war, dass Gyltha in ihrer Freude über Ulfs Rückkehr vergessen hatte, einen Schleier oder eine Haube mitzubringen, weshalb Adelia, deren andere Haube irgendwo unter dem Wandlebury Hill lag, barhäuptig wie eine Dirne war.
    Außer Prior Geoffrey ergriff niemand für sie das Wort.
    Auch nicht Sir Rowley Picot, denn der war nicht da.
    Der Archidiakon von Canterbury erhob sich, die Füße nochimmer in Pantoffeln. Er war ein kleiner alter Mann, ein Energiebündel.
    »Wir wollen die Sache beschleunigen, Mylords, damit wir alle zurück ins Bett können, und sollten wir feststellen, dass man uns aus Boshaftigkeit zu nachtschlafender Zeit hergeholt hat …«, das Gesicht, das er Adelia zuwandte, erinnerte an einen übellaunigen Affen, »… sollen die Schuldigen die Peitsche zu spüren bekommen. Nun denn …«
    Nach und nach wurden die von Adelia vorgebrachten Beweise verworfen.
    Das Wort eines minderjährigen, Aale verkaufenden Bastards gegen das einer Braut Christi?
    Die Tatsache, dass die Lady oft auf dem Fluss unterwegs ist? Wer ist das denn nicht in dieser Stadt, die mit dem Fluss lebt? Opiumtinktur? Kann die denn nicht jedermann beim Apotheker erstehen?
    Die Nächte, die sie gelegentlich außerhalb des Klosters verbringt? Nun ja …
    Zum ersten Mal erhob der junge Mann namens Hubert Walter seine Stimme und den Kopf von dem Pergament, auf dem er eifrig mitschrieb: »Das bedarf vielleicht doch einer Erklärung, Mylord. Es ist … ungewöhnlich.« »Wenn ich etwas dazu sagen dürfte, Mylords.« Priorin Joan trat erneut vor. »Unsere Eremiten mit Nahrung zu versorgen ist ein Akt der Nächstenliebe, der Schwester Veronicas Kräfte erschöpft … Ihr seht ja, wie zart sie ist. Daher habe ich ihr erlaubt, hin und wieder eine Nacht in Ruhe und stiller Kontemplation bei einer unserer Einsiedlerinnen zu verbringen, ehe sie zum Kloster zurückkehrt.«
    »Löblich, löblich.« Die Augen der Richter ruhten anerkennend auf Schwester Veronicas gertenschlanker Gestalt.
    Welche
Einsiedlerin, fragte Adelia sich, und warum wurde sienicht hergeholt und gefragt, wie viele Nächte sie und die zarte Veronica in stiller Kontemplation verbracht hatten?
    Keine, möchte ich wetten.
    Doch es war vergeblich. Die Einsiedlerin würde nicht kommen, eben
weil
sie eine Einsiedlerin war. Wenn Adelia verlangte, sie herzuholen, würde sie damit nur bestätigen, wie forsch und anmaßend sie im Vergleich zu der respektvoll schweigenden Veronica war.
    Wo bist du, Rowley? Ich werde dich heiraten, aber lass mich hier nicht allein.
Rowley, sie werden sie laufen lassen.
    Das Zerstörungswerk wurde fortgesetzt. Wer hatte Simon aus Neapel sterben sehen? Hatte die Untersuchung denn nicht bestätigt, dass der Tod des Juden ein Unfall war?
    Die Wände des großen Raumes rückten näher. Ein Gerichtsdiener musterte die Handschellen an seinem Gürtel, als befände er sie klein genug für Adelias Handgelenke. Über ihrem Kopf kicherten die Koboldfratzen hämisch, und die Blicke der Richter rissen ihr die Haut vom Leibe.
    Jetzt zog der Archidiakon ihr Motiv in Zweifel, warum sie überhaupt zum Wandlebury Hill gegangen war. »Was hat sie zu diesem unheiligen Ort geführt, Mylords? Woher wusste sie, was dort vor sich ging? Müssen wir nicht annehmen, dass sie mit dem Teufel von Grantchester im Bunde war, und nicht die heilige

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