Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
Vom Netzwerk:
den Hals hängen können. Falls einer das Angebot annahm, würde man ihr die Schuld geben, nicht dem Vergewaltiger.
    Zum Teufel mit dem Gefängnis, in dem Männer Frauen gefangen hielten. Seine unsichtbaren Gitterstäbe waren ihr schon damals verhasst gewesen, als Mansur darauf bestanden hatte, sie auf dem Weg von Vorlesung zu Vorlesung durch die langen dunklen Gänge der Schule in Salerno zu begleiten, wodurch sie sich bevorzugt und lächerlich vorkam. Aber sie hatte ihre Lektion gelernt, oh ja, sie hatte sie an dem Tag gelernt, als sie seiner Aufsicht entwischt war. Die Empörung, die Verzweiflung, mit der sie sich gegen einen Mitstudenten hatte zur Wehr setzen müssen, die Demütigung, dass sie um Hilfe rufen musste, die dann auch Gott sei Dank kam, die anschließende Standpauke von ihren Professoren und natürlich von Mansur und Margaret über die Sünde des Hochmuts und ihren nachlässigen Umgang mit ihrem guten Ruf.
    Dem jungen Mann hatte keiner irgendwelche Vorhaltungen gemacht, wenngleich Mansur ihm hinterher die Nase gebrochen hatte, um ihm Manieren beizubringen.
    Da Adelia nun einmal Adelia und noch immer ein bisschen hochmütig war, zwang sie sich weiterzugehen, aber diesmal in Richtung der Bäume, und die eine oder andere Pflanze zu pflücken, ehe sie sich erneut umsah.
    Nichts. Schwankende Weißdornblüten im Wind, wieder ein jähes Erblassen des Lichts, als eine Wolke vor der Sonne dahinjagte. Ein Fasan stieg flatternd und kreischend auf. Sie wandte sich um.
    Es war, als wäre er aus der Erde gewachsen. Er kam auf sie zugeschritten, warf einen langen Schatten. Diesmal war es keinpickeliger Student. Einer von den wuchtigen und stolzen Kreuzfahrern in der Pilgerschar. Die Metallglieder seines Kettenhemdes knirschten unter dem Wappenrock. Der Mund lächelte, doch die Augen waren so hart wie das Eisen, das Kopf und Nase umschloss. »Na, wen haben wir denn da«, sagte er genüsslich. »Wenn das nicht die kleine Mistress ist.«
    Adelia spürte einen tiefen Ekel – vor ihrer eigenen Dummheit, vor dem, was nun kommen würde. Sie hatte Hilfsmittel. Eines davon, ein tückischer kleiner Dolch, der in ihrem Stiefel steckte, war ein Geschenk ihrer sizilianischen Ziehmutter. Die wackere Frau hatte ihr geraten, auf das Auge des Angreifers zu zielen. Ihr jüdischer Ziehvater hatte eine geschicktere Verteidigung empfohlen: »Sag ihnen, dass du Ärztin bist, und tu so, als wärst du besorgt über ihr Aussehen. Frag sie, ob sie mit Pestkranken zu tun gehabt hätten. Da streicht jeder Mann die Flagge.«
    Sie glaubte allerdings, dass keine der beiden Maßnahmen gegen diese nahende eisenbewehrte Masse etwas ausrichten würde. Außerdem wollte sie ihren Beruf nicht öffentlich bekannt geben, das hätte ihrer Mission geschadet.
    Er war noch ein Stück von ihr entfernt. Sie richtete sich auf und versuchte, möglichst herablassend zu wirken. »Ja?«, rief sie scharf. Wäre sie Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar in Salerno gewesen, hätte das vielleicht Wirkung erzielt, doch hier, auf diesem einsamen Hügel, nützte es einer ärmlich gekleideten fremdländischen Metze wenig, die bekanntermaßen in einem Händlerwagen mit zwei Männern unterwegs war.
    »Das gefällt mir«, rief der Mann zurück. »Eine Frau, die ja sagt.«
    Er kam näher. Jetzt waren seine Absichten klar.
    Sie duckte sich, griff in ihren Stiefel. Dann geschah gleichzeitig zweierlei – aus verschiedenen Richtungen.
    Aus dem Wäldchen kam das zischende Wusch-Wusch-Geräuschvon Luft, die verdrängt wird, weil etwas durch sie hindurchwirbelt. Eine kleine Axt grub ihre Klinge in das Gras zwischen Adelia und dem Ritter.
    Zugleich ertönte ein Ruf von jenseits des Hügels. »Im Namen Gottes, Gervase, ruf deine verdammten Hunde und komm endlich. Die Alte will nicht länger warten.«
    Adelia sah, wie sich der Blick der Ritters veränderte. Sie bückte sich, zog mit einem kräftigen Ruck die Axt aus dem Boden und richtete sich lächelnd wieder auf. »Das muss Magie sein«, sagte sie.
    Der andere Kreuzfahrer rief seinem Freund erneut zu, er solle endlich seine Hunde holen und zur Straße hinuntergehen.
    Die Niederlage, die sich im Gesicht des Mannes spiegelte, schlug erst in Hass, dann bewusst in Desinteresse um, ehe er auf der Stelle umdrehte und davoneilte.
    Du hast dir hier keine Freunde gemacht, sagte Adelia sich. Gott, ich
hasse
es, Angst zu haben. Der Teufel soll ihn holen. Und dieses verdammte Land gleich mit. Ich wollte doch eigentlich gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher