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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Freund dort?« Sie wunderte sich über die Unterschiedlichkeit der beiden Männer.
    »Zu verschiedenen Zeiten«, sagte er. »Wir stammen beide aus Cambridge, aber seltsamerweise sind wir uns erst nach unserer Rückkehr wieder begegnet. Outremer ist riesengroß.«
    Der Qualität seiner Stiefel und dem dicken Goldring an seinem Finger nach zu urteilen, war es ihm dort gut ergangen.
    Sie nickte und ging weiter, und erst als sie und Mansur schon an ihm vorbei waren, fiel ihr ein, dass sie vor ihm einen Knicks hätte machen müssen. Dann vergaß sie ihn, vergaß sogar den Rohling, der sein Freund war. Sie war Ärztin und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihren Patienten.

    Als der Prior triumphierend wieder zum Lager kam, stellte er fest, dass die Frau zurückgekehrt war und allein an der erloschenen Feuerstelle saß, während der Sarazene den Wagen belud und die Maultiere einspannte.
    Ihm hatte vor diesem Augenblick gegraut. So ehrbar er auch war, er hatte halbnackt und ängstlich wimmernd vor einer Frau gelegen, einer
Frau
, ohne jede Beherrschung und Würde.
    Nur seine Dankesschuld, das Wissen, dass er ohne ihre Behandlung gestorben wäre, hatte ihn daran gehindert, sie zu ignorieren oder sich davonzustehlen, bevor sie einander wieder begegnen konnten.
    Als sie seine Schritte hörte, sah sie auf. »Konntet Ihr Wasser lassen?«
    »Ja.« Barsch.
    »Schmerzfrei?«
    »Ja.«
    »Gut«, sagte sie.
    Es war … jetzt erinnerte er sich wieder. Eine obdachlose Frau war vor dem Stiftstor von Wehen überrascht worden, und Bruder Theo, der Krankenpfleger der Priorei, hatte ihr notgedrungen bei der schwierigen Geburt beigestanden. Am nächsten Morgen, als er mit Theo die Mutter und das Kind aufsuchte, hatte er sich gefragt, wer von beiden sich bei dieser Begegnung mehr schämen würde – die Frau, die während der Geburt ihre intimsten Körperregionen einem Mann enthüllt hatte, oder der Mönch, der sich damit hatte befassen müssen.
    Nichts dergleichen. Keine Verlegenheit. Sie hatten sich voller Stolz angeschaut.
    Und so war es jetzt auch. Die hellbraunen Augen, die ihn musterten, waren eindeutig geschlechtslos, die eines Waffengefährten. Er war ein Kamerad, vielleicht ein Untergebener. Sie hatten gemeinsam den Feind bekämpft und gesiegt.
    Er war ihr dafür ebenso dankbar wie für seine Rettung. Schnell trat er vor und führte ihre Hand an seine Lippen. »
Puella mirabile.
«
    Es war Adelia noch nie leicht gefallen, ihre Gefühle zu zeigen, sonst hätte sie den Mann umarmt. Es hatte also geklappt. Sie hatte so lange nicht mehr Allgemeinmedizin praktiziert, dass sie schon fast die unermessliche Freude vergessen hatte, die einen überkam, wenn man sah, dass ein Mensch von seinem Leiden befreit worden war. Dennoch, er musste erfahren, wie seine Prognose aussah.
    »Nicht ganz so
mirabile
, wie es scheint«, sagte sie. »Es könnte wieder passieren.«
    »Verdammt«, sagte der Prior. »Verdammt,
verdammt.
« Er fing sich wieder. »Ich bitte um Verzeihung, Mistress.«
    Sie tätschelte ihm die Hand, schob ihn auf den Baumstumpf und setzte sich im Schneidersitz ins Gras. »Männer haben eine Drüse, die zu ihren Fortpflanzungsorganen gehört«, erklärte sie. »Sie umschließt den Hals der Blase und den Beginn der Harnröhre. Ich glaube, in Eurem Fall ist sie vergrößert. Gestern war ihr Druck so stark, dass die Blase nicht mehr arbeiten konnte.«
    »Was soll ich tun?«, fragte er.
    »Ihr müsst lernen, die Blase so zu entleeren, wie ich es getan habe, sollte es wieder so weit kommen – mit einem Stück Schilfrohr als
catheter.
«
    »
Catheter?
« Sie hatte das griechische Wort für Rohr benutzt.
    »Ihr könntet es üben. Ich kann es Euch zeigen.«
    Großer Gott, dachte er, das würde sie wahrhaftig. Und es wäre für sie lediglich ein medizinisches Verfahren. Ich bespreche diese Dinge mit einer Frau: Sie bespricht sie mit mir.
    Auf der Reise von Canterbury bis hierher hatte er sie lediglich als eine aus dem Gesindel zur Kenntnis genommen, wenngleich sie, jetzt, wo er darüber nachdachte, bei den Übernachtungen in den Gasthöfen stets zu den Nonnen in die Frauenunterkünfte gegangen war, anstatt im Wagen bei den Männern zu bleiben. Letzte Nacht, als sie stirnrunzelnd sein Geschlecht betrachtet hatte, hätte sie auch einer seiner Schreiber sein können, der sich auf ein schwieriges Manuskript konzentriert. Und heute Morgen hatte ihre berufliche Sachlichkeit sie über die Untiefen der Geschlechtlichkeit hinweggetragen.
    Trotzdem war und

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