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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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in dem Leichnam nicht die sterblichen Überreste eines kleinen Jungen, der ein christliches Begräbnis verdient hat, sondern einen Erwerb für diese Sukkubenhöhle, die sie Kloster nennt, eine Möglichkeit, Pilger und Lahme und Kranke, die sich Heilung erhoffen, ordentlich zu schröpfen. Eine Attraktion, Master Simon.« Er lehnte sich zurück. »Und genau das ist er geworden. Roger aus Acton hat ihn bekannt gemacht. Unsere Priorin hat sich von den Geldwechslern in Canterbury beraten lassen – dafür gibt es Zeugen –, wie die Reliquien des Kleinen St. Peter und Heiligenandenken an der Klosterpforte verkauft werden sollten.
Quid non mortalia pectoa cogis, auris sacra fames!
Was stellst du mit dem menschlichen Herzen an, du verfluchter Hunger nach Gold!«
    »Mylord, ich bin entsetzt«, sagte Simon.
    »Und das mit Recht, Master Simon. Sie hat einen Knochen aus der Hand des Jungen dabei. Sie und ihr Vetter haben ihn mir in meiner Bedrängnis aufgelegt und gesagt, er würde mich augenblicklich heilen. Ihr müsst wissen, Roger aus Acton möchte mich gerne auf die Liste der Geheilten setzen, für den Bittbrief an den Vatikan, den Kleinen St. Peter doch offiziell heiligzusprechen.«
    »Ich verstehe.«
    »Der Knochen, und in meiner Pein habe ich mich nicht gescheut, ihn anzufassen, war wirkungslos. Meine Erlösung kam von einer unverhoffteren Seite.« Der Prior stand auf. »Dabei fällt mir ein, ich spüre den Drang zu pinkeln.«
    Simon streckte einen Arm aus und hielt ihn zurück. »Aber was ist mit den anderen Kindern, Mylord? Die noch vermisst werden?«
    Prior Geoffrey blieb einen Moment stehen, als lauschte er demGesang der Amsel. »Eine Weile geschah nichts«, sagte er. »Mit Chaim und Miriam hatte die Stadt ihren Durst nach Rache gestillt. Die Juden in der Burg schickten sich an, in ihre Häuser zurückzukehren. Doch dann verschwand wieder ein Junge, und wir wagten es nicht, sie gehen zu lassen.«
    Der Prior wandte das Gesicht ab, so dass Simon es nicht sehen konnte. »Es war in der Nacht auf Allerseelen. Ein Junge aus meiner Schule.« Simon hörte das Zittern in der Stimme des Priors. »Als Nächstes ein kleines Mädchen, die Tochter eines Vogeljägers. Ausgerechnet, Gott stehe uns bei, am Tag der Unschuldigen Kinder, an dem wir des Kindermordes in Bethlehem gedenken. Und dann, kürzlich erst, am Festtag von St. Edward, König und Märtyrer, wieder ein Junge.«
    »Aber Mylord, wie kann man den Juden denn auch diese Fälle zur Last legen? Sie sind doch noch immer in der Burg eingeschlossen, nicht wahr?«
    »Ach, Master Simon, mittlerweile hat man den Juden die Fähigkeit verliehen, über Burgmauern zu fliegen, um sich die Kinder zu schnappen und sie zu fressen und die Überreste in den nächsten Tümpel zu werfen. Ich muss Euch raten, Euch nicht als Jude zu erkennen zu geben. Wisst Ihr …«, der Prior stockte kurz, »… es gab da gewisse Zeichen.«
    »Was für Zeichen?«
    »Man hat sie in der Gegend entdeckt, wo die Kinder zuletzt gesehen wurden. Kabbalistische Flechtarbeiten. Die Stadtbewohner sagen, sie erinnern an den Davidstern. Und jetzt«, Prior Geoffrey hatte die Beine gekreuzt, »muss ich wirklich pinkeln. Ein bedeutender Augenblick.«
    Simon sah ihm nach, wie er zum Waldrand humpelte. »Viel Glück, Mylord.«
    Es war richtig, dass ich ihm so viel erzählt habe, dachte er. Wir haben einen wertvollen Verbündeten gewonnen. Ich habe Informationengegen Informationen eingetauscht – ich habe jedoch nicht alles verraten.

    Die Schneise, die zur Kuppe des Wandlebury Hill hinaufführte, war durch einen Erdrutsch entstanden, der Breschen in die großen Gräben gerissen hatte, die vor langer Zeit von alten Völkern angelegt worden waren, um den Berg zu verteidigen. Weidende Schafherden hatten den Hang noch weiter eingeebnet, und Adelia erklomm mit ihrem Korb am Arm in wenigen Minuten den Gipfel, ohne dabei außer Atem zu geraten. Oben angekommen, betrat sie eine menschenleere, große kreisrunde Wiese, die mit Schafmist übersät war.
    Aus der Ferne hatte die Kuppe kahl gewirkt. Bis auf ein kleines Wäldchen am Ostrand standen die einzigen hohen Bäume am Hang, und der Rest war mit buschigen Weißdorn– und Wacholdersträuchern bewachsen. In dem recht flachen Boden waren hier und dort eigentümliche Senken zu sehen, von denen einige zwei bis drei Fuß tief waren und einen Durchmesser von mindestens sechs Fuß hatten. Wer nicht aufpasste, konnte sich hier leicht den Knöchel verstauchen.
    Nach Osten hin, wo gerade

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