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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Euch.«
    »Also schön, Martha warf einen Blick in das Zimmer und sah ein Kind – wie sie
sagt
– ein Kind, das mit den Händen an einem Kreuz hing. Sie war zu nichts anderem fähig, als vor Entsetzen wie gelähmt zu sein, denn genau in diesem Moment kam Chaims Frau den Flur entlang, verfluchte sie, und Martha rannte vor Schreck einfach davon.«
    »Ohne die Wache zu alarmieren?«, fragte Simon.
    Der Prior nickte. »In der Tat, das ist der Schwachpunkt in ihrer Geschichte. Falls,
falls
Martha den Jungen tatsächlich zu dem Zeitpunkt gesehen hat, dann hat sie die Wachen
nicht
alarmiert. Bis Peter tot aufgefunden wurde, hat sie überhaupt niemanden alarmiert. Dann, erst dann hat sie es einer Nachbarin zugeflüstert, die es einer anderen Nachbarin zuflüsterte, diedann zur Burg ging und es dem Sheriff erzählte. Danach häuften sich die Beweise geradezu. Ein Weidenkätzchenzweig wurde in der Gasse direkt vor Chaims Haus gefunden. Ein Mann, der die Burg mit Torf beliefert hatte, sagte aus, er habe am Freitag vor Palmsonntag zwei Männer am anderen Flussufer beobachtet, von denen einer einen Judenhut trug, und gesehen, wie sie von der Großen Brücke aus ein Bündel in die Cam warfen. Dann gaben andere an, aus Chaims Haus Schreie gehört zu haben. Ich selbst habe den Leichnam inspiziert, nachdem man ihn aus dem Fluss geborgen hatte, und die Kreuzigungsstigmata an ihm gesehen.« Er runzelte die Stirn. »Der arme kleine Körper war natürlich entsetzlich aufgedunsen, aber man sah die Spuren an den Handgelenken, und der Bauch war aufgeschlitzt worden wie von einem Speer, und … es gab noch andere Verletzungen.«
    In der Stadt war es augenblicklich zum Tumult gekommen. Um zu verhindern, dass sämtliche Männer, Frauen und Kinder im Judenviertel erschlagen wurden, hatten der Sheriff und seine Männer sie so schnell es ging in die Burg von Cambridge geschafft. Das war im Namen des Königs geschehen, unter dessen Schutz die Juden standen.
    »Trotzdem wurde Chaim unterwegs von Rachsüchtigen gepackt und an der Weide bei St. Radegund aufgehängt. Und als seine Frau um sein Leben bettelte, hat man sie in Stücke gerissen.« Prior Geoffrey bekreuzigte sich. »Der Sheriff und ich selbst haben getan, was wir konnten, doch gegen den Zorn der Bevölkerung waren wir machtlos.« Seine Miene verfinsterte sich bei der schrecklichen Erinnerung. »Ich habe gesehen, wie sich anständige Männer in Höllenhunde verwandelten, Matronen in Mänaden.«
    Er lüftete seine Kappe und fuhr sich mit der Hand über den fast kahlen Schädel. »Vielleicht, Master Simon, hätten wir die aufgebrachtenGemüter ja doch noch beruhigen können. Es gelang dem Sheriff nämlich, die Ordnung wiederherzustellen, so dass wir schon hofften, die überlebenden Juden könnten nun, da Chaim tot war, wieder in ihre Häuser zurückkehren. Aber nein. Jetzt kommt der Auftritt des Roger aus Acton, eines Klerikers, der neu in unserer Stadt ist und an unserer Pilgerfahrt nach Canterbury teilnimmt. Gewiss ist er Euch aufgefallen, dünne Beine, böses Gesicht, käsige Haut, ein lästiger Bursche von fragwürdiger Sauberkeit. Master Roger ist zufällig …«, der Prior warf Simon einen fast vorwurfsvollen Blick zu,
»… zufällig
ein Vetter der Priorin von St. Radegund, und er strebt nach Ruhm, indem er fromme Traktate verfasst, die im Grunde nur seine Ignoranz verraten.«
    Die beiden Männer schüttelten den Kopf. Die Amsel zwitscherte weiter.
    Prior Geoffrey seufzte. »Master Roger hat das Schreckenswort ›Kreuzigung‹ gehört und es begierig wie ein Frettchen aufgeschnappt. Endlich einmal etwas Neues. Nicht bloß der Vorwurf der Folter, was den Juden ja gerne unterstellt wird … Ich bitte um Vergebung, Master Simon, aber so war es schon immer.«
    »Leider ja, Mylord, leider ja.«
    »Dies hier sah ganz nach einer Nachahmung von Ostern aus: ein Junge, der dazu auserkoren worden war, die Schmerzen des Gottessohnes zu erleiden, und der daher zweifellos sowohl ein Heiliger als auch ein Wundertäter sein musste. Ich hätte das Kind anständig beerdigt, doch diese Hexe in Menschengestalt, die sich als Nonne von St. Radegund ausgibt, hat das verhindert.«
    Der Prior drohte mit der Faust Richtung Straße. »Sie hat den Leichnam des Kindes entführt und Anspruch darauf erhoben, weil Peters Eltern auf einem Stück Land wohnen, das St. Radegund gehört.
Mea culpa
. Ich muss zugeben, dass wir uns umden Leichnam gestritten haben. Aber, Master Simon, diese Frau, diese Höllenkatze, sieht

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