Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
Vom Netzwerk:
unangenehm riechen.
    »Geschenk vom Prior«, sagte Gyltha. »Du sollst ihn füttern.« Auch der Raum, in dem sie sich befanden, war nicht gerade einnehmend. Man betrat ihn direkt durch die Haustür, er war eng und schäbig, und an der rückwärtigen Wand führte eine ebenso schwere Tür in den Rest des Hauses. Selbst bei Tagewäre es hier dunkel gewesen, jetzt am Abend kam den beiden schmalen Schießscharten eine Laterne zu Hilfe, die leere und ramponierte Regale beschien.
    »Hier hat der alte Ben seine Pfandleihe betrieben«, sagte Gyltha und fügte mit Nachdruck hinzu: »Aber irgendein Halunke hat die ganzen verpfändeten Sachen geklaut.«
    Ein anderer Halunke oder vielleicht auch derselbe hatte den Raum noch dazu als Latrine benutzt.
    Adelia wurde von Heimweh gepackt. Vor allem nach Margaret, ihrem liebevollen Wesen. Aber auch, o Gott, nach Salerno. Nach Orangenbäumen und Sonne und Schatten, nach Aquädukten, nach dem Meer, nach dem im Boden eingelassenen römischen Bad in dem Haus, das sie mit ihren Zieheltern bewohnte, nach Mosaikböden, höflichen Dienern, danach, dass ihre Stellung als
medica
anerkannt wurde, nach den Möglichkeiten, die die Schule bot, nach
Salat
– sie hatte nichts Grünes mehr gegessen, seit sie in diesem gottverlassenen, fleischfressenden Land angekommen war.
    Aber Gyltha hatte inzwischen die zweite Tür aufgestoßen, und nun blickten sie in die Eingangshalle des alten Benjamin – die um einiges besser war.
    Hier roch es nach Wasser, Lauge, Bienenwachs. Als sie eintraten, verschwanden zwei Mägde mit Eimern und Wischlappen hastig durch eine Tür am hinteren Ende. Von einer gewölbten Decke hingen polierte Synagogenlampen an Ketten herab und beschienen frische grüne Binsen und sanft schimmernde Bodendielen aus Ulmenholz. Ein steinerner Pfeiler stützte eine Wendeltreppe ab, die in ein Dachgeschoss führte und hinunter in den Keller.
    Es war ein langgestreckter Raum, der sich vor allem durch die verglaste Reihe von Fenstern hervortat, die in ganz unterschiedlichen Größen die gesamte linke Seite einnahmen. Vermutlichhatte der alte Benjamin nach dem Sparsamkeitsprinzip die ursprünglichen Rahmen vergrößert oder verkleinert, um so die nicht abgeholten Glasscheiben, die in seinen Besitz übergegangen waren, einsetzen zu können. Es gab ein Erkerfenster, zwei Gitterfenster – beide geöffnet, um den Duft des Flusses hereinzulassen –, eine kleine klare Scheibe und eine rosig getönte Scheibe, die bestimmt aus einer christlichen Kirche stammte. Die Gesamtwirkung war kunterbunt, stellte aber eine wohltuende Abwechslung von den üblichen kahlen Fensterläden dar, und sie war nicht ohne Charme.
    Für Mansur und Simon befand sich das Nonplusultra jedoch woanders – nämlich in der Küche, einem separaten Gebäude hinter dem Haus. Sie bugsierten Adelia dorthin. »Gyltha ist Köchin«, sagte Simon, als wäre er vom Staube Ägyptens ins Gelobte Land Kanaan gekommen. »Unser Prior …«
    »Möge sein Schatten nie abnehmen«, sagte Mansur.
    »… unser herzensguter Prior hat uns eine Köchin geschickt, die es mit meiner guten Bekka aufnehmen kann.« Rebekka war seine Frau. »Gyltha
superba
. Seht nur, Doktor, seht, was sie zubereitet.«
    Über einer gewaltigen Feuerstelle drehten sich Dinge auf Spießen, tropfte Fett in glühenden Torf. Kessel hingen an Haken und verströmten würzigen Fischgeruch, cremefarbener Teig lag zum Ausrollen bereit auf einem großen, mit Mehl bedeckten Tisch.
    »Essen, Doktor, saftiger Fisch, Neunaugen, dem Herrn sei Lob und Preis, in Honig geschmorte Ente, Spanlamm.«
    Noch nie hatte Adelia zwei derart verzückte Menschen gesehen.
    Sie nutzten das restliche Tageslicht, um weiter auszupacken. Es gab reichlich Zimmer. Adelia bekam das Sonnenzimmer – ein hübscher Raum mit Blick auf den Fluss – und freute sich überdenLuxus nach den Gemeinschaftsbetten in den Gasthöfen.
    Die Regalbretter in den Wandnischen waren von den Aufrührern geplündert worden, und sie konnte den Platz gut gebrauchen, um ihre Kräuter und Arzneien zu lagern.
    Als Gyltha sie abends zum Essen rief, ärgerte sie sich über die lange Zeit, die Mansur und Simon auf ihre rituellen Waschungen verwendeten und die Adelia brauchte, um sich die Hände zu waschen, weil sie Schmutz für giftig hielt. »Das wird alles kalt«, schnauzte sie die drei an. »Ich koche nicht für Heiden, die gutes Essen einfach kalt werden lassen.«
    »Das tust du auch nicht«, versicherte Simon. »Gyltha, das tust du wirklich

Weitere Kostenlose Bücher