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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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untersuchte, kurz mit der Zunge schnalzte, ihre Pinzette aus der Tasche holte – »Haltet ihn jetzt ganz ruhig« – und eine kleine Perle herauszog.
    Sie hätte ebenso gut eine Bresche in einen Damm schlagen können. »Eine weise Frau, Donnerwetter«, sagte jemand, und sogleich rangen alle um ihre Aufmerksamkeit. Wenn kein Arzt da war, tat’s eben auch eine weise Frau.
    Die Rettung nahte in Gestalt der Frau, die sie Gyltha genannt hatten. Sie kam die Treppe herunter und bahnte sich einen Weg zu Adelia, indem sie hinderliche Körper mit den Ellbogen beiseite stieß. »Macht, dass ihr wegkommt«, befahl sie. »Die sind noch nicht mal eingezogen. Kommt morgen wieder.« Sie stieß Adelia durch das Tor. »Schnell, Mädchen.« Dann schloss sie das Tor, indem sie sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen legte, und zischte: »Jetzt hast du’s geschafft.«
    Adelia überging die Bemerkung. »Der alte Mann da«, sagte sie und zeigte auf ihn. »Der hat Schüttelfrost.« Sie vermutete Malaria, und das war verwunderlich. Sie hatte geglaubt, die Krankheit träte nur in den römischen Sümpfen auf.
    »Das soll der Arzt feststellen«, sagte Gyltha laut, damit alle es hörten, dann leiser zu Adelia: »Rein mit dir, Mädchen. Der hat auch morgen noch Schüttelfrost.«
    Wahrscheinlich war da ohnehin nicht viel zu machen. WährendGyltha sie die Treppe hinaufzog, rief Adelia einer Frau, die den zitternden Alten stützte, zu: »Er braucht Bettruhe! Versucht das Fieber zu senken«, und konnte gerade noch hinzufügen: »Feuchte Tücher«, ehe die Haushälterin sie ins Haus zerrte und die Tür schloss.
    Gyltha sah sie kopfschüttelnd an. Ebenso Simon, der die Szene beobachtet hatte.
    Natürlich. Mansur war jetzt der Arzt. Sie durfte das nicht vergessen.
    »Aber es ist interessant, falls es Malaria ist«, sagte sie zu Simon. »Cambridge und Rom. Die Gemeinsamkeit sind die Sümpfe, vermute ich.« In Rom erklärten manche die Krankheit mit schlechter Luft, daher der Name, andere mit dem Trinken von abgestandenem Wasser. Adelia, die keine der beiden Meinungen für bewiesen hielt, war für alles offen.
    »In den Sümpfen gibt’s unheimlich viele Leute mit Schüttelfrost«, erklärte Gyltha. »Wir nehmen Opium dagegen. Dann hört das Zittern auf.«
    »Opium? Wächst denn hier in der Gegend Mohn?« Bei Gott, wenn sie Opium hätte, könnte sie bei vielen Kranken die Schmerzen lindern. Ihre Gedanken kreisten erneut um die Malaria, und sie raunte Simon zu: »Ich frage mich, ob ich wohl die Milz des Alten untersuchen darf, wenn er stirbt.«
    »Wir können ihn ja fragen«, sagte Simon und verdrehte die Augen. »Schüttelfrost, Kindermord: Wo ist der Unterschied? Erzählen wir doch einfach allen, wer wir sind.«
    »Ich habe den Mörder nicht vergessen«, sagte Adelia schneidend, »ich habe seine Arbeit untersucht.«
    Er berührte ihre Hand. »Schlimm?«
    »Schlimm.«
    Das abgespannte Gesicht vor ihr nahm einen bekümmerten Ausdruck an. Der Mann hatte selbst Kinder und stellte sich dasSchlimmste vor, was ihnen widerfahren könnte. Simon hat eine seltene Gabe für Mitgefühl, dachte sie, deshalb ist er auch ein so guter Ermittler. Aber das kostet ihn viel Kraft.
    Ein Großteil seines Mitgefühls galt ihr. »Könnt Ihr es ertragen, Doktor?«
    »Dazu bin ich ausgebildet worden«, erwiderte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Für das, was Ihr gestern gesehen habt, ist niemand ausgebildet.« Er atmete tief durch und sagte dann: »Das ist Gyltha. Prior Geoffrey schickt sie uns, damit sie das Haus in Ordnung hält. Sie weiß, was wir hier tun.«
    Das Gleiche galt offenbar auch für jemanden, der in einer Ecke mit einem Tier gelauert hatte. »Das ist Ulf. Gylthas Enkelsohn, glaube ich. Und das da ist – was eigentlich?«
    »Aufpasser«, erklärte Gyltha. »Und nimm deine verdammte Mütze ab, wenn du mit der Lady redest, Ulf.«
    Noch nie hatte Adelia ein so durch und durch hässliches Trio gesehen. Die Frau und der Junge hatten sargförmige Köpfe, grobknochige Gesichter und große Zähne, eine Kombination, die, wie sie bald erfahren sollte, typisch für das Sumpfvolk war. Dass der kleine Ulf nicht ganz so beunruhigend wirkte wie seine Großmutter, lag nur daran, dass er eben ein Kind war, acht oder neun Jahre alt, und noch kindlich gerundete Gesichtszüge hatte.
    Der »Aufpasser« war ein übergroßer Ball aus verfilzter Wolle, aus dem vier Beine wie Stricknadeln staken. Er wirkte schafartig, war aber wahrscheinlich ein Hund. Kein Schaf auf der Welt konnte so

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