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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Stirn und blickte auf, als eine Magd hereinkam, um die Kerzendochte zu putzen. »Ah. Matilda.«
    »Ja, Master?«
    Simon beugte sich vor.
»Wandlebury Ring.«
    Das Mädchen riss die Augen weit auf, bekreuzigte sich und ging rückwärts aus dem Raum.
    Simon schaute sich um. »Wandlebury Ring«, sagte er. »Was habe ich euch gesagt? Der Prior hatte Recht. Es ist ein Ort des Aberglaubens. Da traut sich keiner hin, außer den Schafen. Aber
wir
waren vorletzte Nacht da. Er hat uns gesehen. Warum waren wir da? Das weiß er nicht. Um unsere Zelte aufzuschlagen?Um zu bleiben? Um uns die Gegend anzusehen? Er weiß nicht, was wir vorhaben, und er hat Angst, weil dort die Leichen liegen und wir sie unter Umständen finden könnten. Also schafft er sie weg.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Sein Versteck ist auf dem Wandlebury Ring.«
    Er hat uns gesehen
. Plötzlich sah Adelia fledermausähnliche Flügel vor sich, die über einem Knochenhaufen flatterten, eine Schnauze, die schnüffelnd die Luft einsog und Witterung von Eindringlingen aufnahm, ein jähes Zuschlagen der Klauen.
    »Er gräbt also die Leichen aus? Er bringt sie ein Stück weg? Er lässt sie irgendwo liegen, wo sie gefunden werden?«, fragte Mansur, mit einer Stimme, die vor lauter Skepsis höher war denn je. »So dumm kann doch keiner sein.«
    »Er wollte uns weglocken, damit wir nicht merken, dass die Leichen zuerst in Kreideboden gelegen haben«, sagte Simon.
    »Er hatte nicht mit unserer Doktor Trotula gerechnet.«
    »Oder
wollte
er, dass sie gefunden werden?«, gab Adelia zu bedenken. »Macht er sich über uns lustig?«
    Gyltha kam herein. »Wer hat hier meinen Matildas Angst eingejagt?« Sie war in Angriffsstimmung, und die Art, wie sie eine Schere zum Kürzen der Dochte vor sich hielt, veranlasste Simon unwillkürlich, die Hände über dem Schritt zu falten.
    »Wandlebury Ring, Gyltha«, sagte Simon.
    »Was ist damit? Ihr glaubt doch wohl nich an den ganzen Blödsinn, den sie darüber verzapfen. Die Wilde Jagd? Glaub ich nich dran.« Sie nahm die Laterne und fing an, die Dochte zu schneiden. »Der Wandlebury ist bloß ein stinknormaler Hügel, jawohl. Ich halt nix von Hügeln.«
    »Die Wilde Jagd?«, fragte Simon. »Was ist die Wilde Jagd?«
    »Ein Rudel von verdammten Hunden mit roten Augen, das vom Fürsten der Finsternis angeführt wird, und ich glaub kein Wort davon, das sind bloß ganz gewöhnliche Schafmörder,schätz ich, und du kommst sofort da unten raus, Ulf, du kleiner Schmutzfink, ehe ich das Rudel auf dich hetze.«
    Am anderen Ende der Halle war eine Galerie, deren Zugangstreppe versteckt hinter einer Tür in der Wandtäfelung lag, und von dort kam jetzt die kleine unansehnliche Gestalt von Gylthas Enkel hervorgeschlichen. Er murmelte leise vor sich ihn und betrachtete sie böse.
    »Was sagt der Junge?«
    »Nichts.« Sie zerrte den Jungen Richtung Küche. »Wenn ihr den Faulpelz Wulf nach der Wilden Jagd fragt, erzählt der euch jede Menge Blödsinn. Der meint, er hätte sie mal gesehen, und er verkauft euch die Geschichte für ein Glas Ale.«
    Als sie weg war, sagte Simon: »Die Wilde Jagd,
Benandanti
,
la Chasse Sauvage
.
Das Woden Here
. Für diesen Aberglauben gibt es überall in Europa leichte Abwandlungen. Immer sind Hunde mit Feueraugen dabei, immer ein schwarzer und grauenerregender Reiter, und immer droht denjenigen, die die Erscheinung sehen, der Tod.«
    Stille senkte sich über den Raum. Adelia spürte jetzt deutlicher die Dunkelheit jenseits der Gitterfenster, wo Dinge im hohen Gras raschelten. In dem Schilf am Fluss hatte der Frühlingsruf einer Rohrdommel ihr Mahl begleitet. Jetzt nahmen diese Klänge den Charakter von Trommeln an, die einen nahenden Trauerzug ankündigten.
    Sie rieb sich die Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben. »Dann müssen wir also davon ausgehen, dass der Mörder auf dem Hügel lebt?«, fragte sie.
    Simon sagte: »Vielleicht tut er das. Vielleicht auch nicht. Soweit ich weiß, verschwanden die Kinder in der Stadt oder im Umkreis der Stadt. Es ist unwahrscheinlich, dass alle drei sich aus eigenem Antrieb bis zum Hügel gewagt hätten, dazu ist er zu weit weg. Und es ist auch nicht anzunehmen, dass ein Wesensich die ganze Zeit in dieser Umgebung aufhält, um sein Versteck zu bewachen, nur für den Fall, dass sich jemand nähert. Entweder sie wurden dort hingelockt, was ebenfalls unwahrscheinlich ist – es sind immerhin etliche Meilen –, oder sie wurden verschleppt. Daher können wir wohl davon

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