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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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wurden, und auch bei dem Mädchen konnte ich Spuren davonfeststellen. Sie wurden an Händen und Füßen mit abgerissenen Stoffstreifen gefesselt.«
    Sie sah Simon an: »Feine, schwarze Wolle. Ich habe Proben genommen.«
    »Ich werde mich bei den Wollhändlern umhören.«
    »Eine der Leichen hat er nicht vergraben, sondern an irgendeinem trockenen, kalten Ort aufbewahrt.« Ihre Stimme blieb ruhig. »Außerdem könnte das Mädchen mehrfach mit einer Klinge in den Schambereich gestochen worden sein, ebenso wie die Jungen. Bei der besser erhaltenen männlichen Leiche fehlten die Genitalien, und ich würde vermuten, dass auch der andere Junge Ähnliches erlitten hat.«
    Simon hatte die Hände vors Gesicht gelegt. Mansur saß völlig reglos da.
    Adelia sagte: »Ich glaube, dass er allen die Augenlider abgeschnitten hat, ob vor oder nach Eintritt des Todes kann ich nicht sagen.«
    Simon murmelte leise: »Teufel sind unter uns. Wie kommt es, o Herr, dass Du den Peinigern von Gehenna Wohnstatt in Menschenkörpern gewährst?«
    Adelia wollte zu bedenken geben, dass es einer teilweisen Absolution gleichkam, wenn man dem Mörder satanische Kräfte unterstellte und ihn so zum Opfer einer äußeren Kraft machte. Für sie war der Mann tollwütig wie ein Hund.
    Doch dann dachte sie: Wenn ich ihn für krank halte, räume ich ihm im Grunde ja auch eine Entschuldigung für etwas Unverzeihliches ein.
    »Mary …« Sie stockte. Einem toten Körper einen Namen zu geben, war ein Fehler, der ihr normalerweise nicht unterlief. Das zerstörte die Objektivität, brachte Emotionen ins Spiel, wo es doch unerlässlich war, unpersönlich zu bleiben. Sie wusste nicht, warum sie es getan hatte.
    Sie setzte erneut an: »Das Mädchen hatte irgendwas im Haar kleben. Zuerst dachte ich, es wäre Samen …« Simons Hand umklammerte die Tischkante, und sie rief sich in Erinnerung, dass sie nicht zu ihren Studenten sprach. »Aber das Objekt hatte seine längliche Form bewahrt, wahrscheinlich ein Bonbon.« Nun denn.
    Sie sagte leise: »Wir müssen vor allem Zeitpunkt und Ort der Entdeckung der Leichen in Erwägung ziehen. Sie wurden auf Schwemmsandboden gefunden; auf allen dreien waren Spuren davon, aber der Schäfer, der sie gefunden hat, schwört, dass sie am Vortag noch nicht da gelegen hatten. Sie müssen demnach von dort, wo sie aufbewahrt wurden, in kreidehaltigem Boden, zu dem Ort gebracht worden sein, wo der Schäfer sie gestern fand, auf Schwemmsandboden.«
    Das schien eine Ewigkeit her zu sein.
    Simon blickte ihr in die Augen, ergründete sie. »Wir sind gestern Morgen in Cambridge eingetroffen«, sagte er. »Die Nacht davor waren wir … wie hieß das noch gleich?«
    »Bei den Gog-Magog-Hügeln.« Adelia nickte. »Und der Boden da enthält Kreide.«
    Mansur folgte ihrem Gedankengang. »Dann hat der Hund sie in der Nacht woanders hingebracht. Für uns?«
    Sie zuckte die Achseln. Sie sprach nur das aus, was beweisbar war. Andere mussten die Schlüsse daraus ziehen. Sie wartete ab, was Simon aus Neapel damit anfangen würde. Während der gemeinsamen Reise hatte sie mehr und mehr Respekt für ihn entwickelt. Dass er sich nach außen hin so nervös, fast schon einfältig gab, war keine bewusste Verstellung, sondern ein Reaktion darauf, in der Öffentlichkeit zu sein, und sie entsprach keineswegs dem Verstand, der mit rascher Auffassungsgabe oftmals brillante Schlüsse zog. Adelia betrachtete es als Kompliment ihr und Mansur gegenüber, dass er ihnen, wennsie allein waren, erlaubte, Zeugen zu sein, wie sein Gehirn arbeitete.
    »Ja.« Simon schlug sachte mit der Faust auf den Tisch. »Das kann kein Zufall gewesen sein. Wie lange wurden diese armen Seelen vermisst? In einem Fall ein volles Jahr, nicht wahr? Aber dann macht unser Reiterzug aus Pilgern nachts an der Straße Rast, unser Karren rollt den Berg rauf … und plötzlich werden sie gefunden.«
    Mansur sagte: »Er sieht uns.«
    »Er hat uns gesehen.«
    »Und er bringt die Leichen weg.«
    »Er hat sie weggebracht.« Simon spreizte die Hände. »Und warum? Er hatte Angst, wir würden das Versteck auf dem Hügel finden.«
    Adelia gab den Advocatus Diaboli und fragte: »Wieso sollte er fürchten, dass ausgerechnet
wir
sie entdecken? An diesen Hügeln müssen in den letzten Monaten doch viele Leute vorbeigekommen sein, ohne sie zu finden.«
    »Vielleicht waren das gar nicht so viele. Wie hieß der Hügel noch einmal, wo wir gerastet haben … Der Prior hat’s mir gesagt …« Er klopfte sich an die

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