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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Nach einer Weile sagte sie: »Dann gehe ich nach St. Radegund und bitte, mir die Knochen im Reliquiar ansehen zu dürfen.«
    »Ha.«
    »Ich kann mich doch wenigstens ein bisschen umsehen«, sagte Adelia gekränkt. »Kommt Ulf nun mit oder nicht?«
    Ulf kam mit, aber nicht gerne. Das Gleiche galt für den Hund, der ebenso missmutig dreinblickte wie der Junge.
    Na ja, mit solchen Begleitern würde sie in Cambridge bestimmt nicht auffallen.
    »Nicht
auffallen«
, sagte sie mit Nachdruck zu Mansur, als der sich anschickte mitzukommen. »Du bleibst schön hier. Dann könnte ich ja gleich mit einer Gauklertruppe durch die Straßen ziehen.«
    Er protestierte, doch sie beruhigte ihn damit, dass es schließlich helllichter Tag war, dass jede Menge Leute unterwegs waren, dass sie ihren Dolch dabeihatte und einen Hund, der allein schon mit seinem Geruch jeden Angreifer in die Flucht schlagen würde. Am Ende, so dachte sie, war es ihm gar nicht unlieb, bei Gyltha in der Küche zu bleiben.
    Die drei marschierten los.
    Hinter einem Obstgarten führte eine erhöhte Böschung am Rande eines Gemeinschaftsfeldes entlang, das sich bis zum Fluss erstreckte und aus einer Vielzahl von Gemüsebeeten bestand. Männer und Frauen behackten die Pflanzen, die sie im Frühjahr gesetzt hatten. Ein oder zwei grüßten Adelia, indem sie die Hand an die Stirn legten. Weiter vorne blähte sich frische Wäsche im leichten Wind.
    Die Cam war eine Grenze, wie Adelia nun sah. Auf der anderen Flussseite stieg die teils bewaldete, teils parkähnliche Landschaft sachte an, und ein Herrensitz in der Ferne sah aus wie ein Spielzeughaus. Hinter ihr belebte die Stadt mit ihren lärmenden Kais das rechte Ufer, als genieße sie die ungehindert freie Aussicht.
    »Wo liegt Trumpington?«, fragte sie Ulf.
    »Trumpington«, brummte der Junge dem Hund zu. Sie gingen nach links.
    Der Stand der Nachmittagssonne zeigte, dass sie sich nach Süden gewandt hatten. Kähne glitten vorbei, Frauen und Männer stakten ihre Boote auf dem Weg zu irgendwelchen Verrichtungen, und der Fluss war ihre Hauptstraße. Manche winkten Ulf zu, und der Junge nickte zurück und verriet dem Hund dann den jeweiligen Namen. »Sawney unterwegs, um seine Mieten einzutreiben, der alte Geizkragen … Oma White mit der Wäsche für die Chenies … Schwester Speckgesicht bringt den Einsiedlern Essen, sieh dir bloß den Hintern an … die alte Moggy war auf dem Markt und hat früher Schluss gemacht …«
    Der feste Pfad, auf dem sie sich befanden, verhinderte, dass Adelias Stiefel, die nackten Füße des Jungen und die Pfoten des Aufpassers in der feuchten Wiese einsanken, wo Kühe unter Weiden und Erlen das hohe Gras und Butterblumen fraßenund jedes Mal, wenn sie sich ein neues Fleckchen suchten, mit den Hufen saugende Geräusche machten.
    Noch nie hatte Adelia so viele unterschiedliche Grüntöne gesehen. Oder so viele Vögel. Oder so fette Rinder. In Salerno eignete sich das ausgedörrte Weideland nur für Ziegen.
    Der Junge blieb stehen und zeigte auf ein paar strohgedeckte Häuser und einen Kirchturm in der Ferne. »Trumpington«, teilte er dem Hund mit.
    Adelia nickte. »Und wo ist jetzt der Baum der heiligen Radegund?«
    Der Junge verdrehte die Augen, stieß ein gedehntes »St. Raddy« aus und stapfte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
    Aufpasser trottete lustlos hinter ihnen drein, als sie über eine Fußbrücke die Cam überquerten und dann am linken Ufer Richtung Norden gingen, während der Junge sich mit jedem Schritt bei dem Hund beschwerte. Nach dem, was Adelia verstehen konnte, war er entschieden gegen Gylthas Berufswechsel. Als Laufbursche im Aalhandel seiner Großmutter erhielt er gelegentlich Trinkgeld von den Kunden, eine Einnahmequelle, die nun versiegt war.
    Adelia ging nicht darauf ein.
    Ein Jagdhorn ertönte wohlklingend in den Hügeln im Westen. Aufpasser und Ulf hoben ihre unansehnlichen Köpfe und blieben stehen. »Wolf«, sagte Ulf zu dem Hund. Der Klang verhallte, und sie gingen weiter.
    Jetzt hatte Adelia freien Blick über das Wasser hinweg auf die Stadt Cambridge. So konkurrenzlos vor dem klaren Himmel gewann das Dächergewirr, aus dem spitze Kirchtürme aufragten, an Bedeutung und sogar Schönheit.
    In der Ferne war die Große Brücke zu sehen, ein wuchtiger, kunstvoller Bogen, auf dem reger Verkehr herrschte. Dahinter,wo der Fluss am Fuße des Hügels mit der Burg – in dieser Gegend schon fast ein Berg – einen tiefen Teich bildete, lagen so viele

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