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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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schlich lautlos zur Tür.
    Picot
. Adelia erstarrte. Der Steuereintreiber lauschte.
    Mansur riss die Tür so schwungvoll auf, dass sie halb aus den Angeln flog. Aber nicht Sir Rowley kniete davor, ein Ohr in Schlüssellochhöhe, sondern sein Knappe. Neben ihm auf dem Boden stand ein Tablett mit einem Krug und Bechern.
    In einer einzigen fließenden Bewegung hob Mansur das Tablett auf und beförderte den Lauscher gleichzeitig mit einem Tritt die Treppe hinunter. Der Mann, er war sehr jung, purzelte bis zur ersten Biegung, wo er mit den Beinen über dem Kopf liegen blieb. »Au.
Aua
.
«
Doch als Mansur so tat, als wolle er ihm nachsetzen und noch einen Tritt verpassen, rappelte der Junge sich auf und hastete die Stufen hinab, eine Hand auf dem schmerzenden Rücken.
    Seltsam war, dachte Adelia, dass die drei Juden auf den Schemeln dem Zwischenfall kaum Beachtung schenkten, als wäre er genauso wenig von Belang wie ein Vogel, der auf der Fensterbank landete.
    Ist dieser dicke Sir Rowley der Mörder? Wieso interessiert er sich so für die ermordeten Kinder?
    Es gab Leute – das wusste sie, weil sie schon welchen begegnet war –, die den Tod faszinierend fanden, die sich mit Bestechungsgeldern Zugang zu der Steinkammer in der Medizinschule zu verschaffen suchten, wenn sie an einer Leiche arbeitete. Gordinus hatte auf seiner Todesfarm eine Wache aufstellen müssen, um Männer, sogar Frauen, zu verscheuchen, die sich die verwesenden Schweinekadaver anschauen wollten.
    Diese Neigung hatte sie jedoch nicht bei Sir Rowley festgestellt, als sie in St. Werberthas Klause die Untersuchung durchführte; er hatte entsetzt gewirkt.
    Aber er hatte seinen Diener geschickt – Pipin, so hieß der Knappe –, um an der Tür zu lauschen, was darauf schließen ließ, dass Sir Rowley sich über ihre und Simons Ermittlung auf dem Laufenden halten wollte, entweder aus Interesse – »Wieso fragt er uns dann nicht einfach?« – oder aus Angst, dass sie zu ihm führen würde.
    Wer oder was bist du?
    Nicht der, der du zu sein scheinst, lautete die einzige Antwort. Adelia richtete ihr Augenmerk wieder auf die drei Männer mitten im Raum.
    Simon hatte Mansur noch nicht erlaubt, die Erfrischungen auf dem Tablett zu servieren. Er zwang die beiden Juden weiterzureden, die Ereignisse während der Hochzeit von Chaims Tochter zu schildern.
    Am Abend war es kühl geworden. Die Gäste hatten sich ins Haus zurückgezogen, um zu tanzen, aber die über den Garten verteilten Lampen brannten noch. »Und die Männer waren vielleicht ein kleines bisschen angeheitert«, sagte Benjamin.
    »Jetzt kommt endlich zur Sache!«
Nie zuvor hatte Simon eine solche Wut gezeigt.
    »Ja doch, ja. Also, die Braut und ihre Mutter, die beiden sind so inniglich vertraut miteinander, wie zwei Menschen nur sein können, gehen nach draußen, um frische Luft zu schnappen, und plaudern …« Benjamin wurde langsamer, zögerte, wollte offenbar nicht zum Punkt kommen.
    »Da lag eine Leiche.« Alle blickten Yehuda an; er war vergessen worden. »Mitten auf der Wiese, als hätte jemand sie vom Fluss aus dahin geworfen, von einem Boot aus. Die Frauen haben sie entdeckt. Der Schein einer Lampe fiel darauf.«
    »Ein kleiner Junge?«
    »Vielleicht.« Wenn Yehuda überhaupt etwas gesehen hatte, dann durch einen Nebel von zu vielen Gläsern Wein. »Chaim hat sie gesehen. Die Frauen haben gekreischt.«
    »Habt Ihr die Leiche auch gesehen, Benjamin?« Es war Adelias erster Einwurf.
    Benjamin warf ihr nur einen kurzen Blick zu, überging sie und sagte dann zu Simon, als wäre das eine Antwort: »Ich war der
Schadchan
.
«
Der Vermittler dieser prächtigen Hochzeit, der von allen Seiten mit Wein bewirtet wurde? Wie sollte der denn wohl in der Lage sein, überhaupt noch irgendwas mitzubekommen?
    »Was hat Chaim gemacht?«
    Yehuda sagte: »Er hat alle Lampen gelöscht.«
    Adelia sah, wie Simon nickte, als wäre das in seinen Augen vernünftig. Wenn man auf der Wiese vor seinem Haus eine Leiche entdeckte, löschte man zuerst einmal die Lampen, damit Nachbarn oder Vorbeigehende nichts mitbekamen.
    Das schockierte sie. Aber sie war ja auch keine Jüdin, dachte sie dann. Die Verleumdung, dass Juden zu Pessach die Kinder von Christen opferten, haftete ihnen an wie ein zweiter Schatten, der an ihre Fersen genäht war und ihnen überallhin folgte. »Die Legende ist ein Werkzeug«, hatte ihr Ziehvater ihr er-klärt,»das gegen jede gefürchtete und verhasste Religion eingesetzt wird, von Leuten, die sie

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