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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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nicht Paris, nicht Konstantinopel, nicht Jerusalem, eine Medizinschule hervorgebracht hatte, die sie zum Arzt der Welt machte.
    Genau in diesem Moment prallte der Klang der Klosterglocken, die die None schlugen, mit dem Gebetsruf der Muezzins von den Minaretten zusammen und wetteiferte mit der Stimme der Synagogenkantoren, und all das trieb den Berg hinauf und stürmte auf die Ohren des Mannes auf dem Balkon ein – ein wirrer Schwall aus Dur und Moll.
    Aber genau das war es, natürlich. Die Mischung. Die harten, gierigen normannischen Abenteurer, die aus Sizilien und Süditalien ein Königreich gemacht hatten, waren Pragmatiker gewesen, aber Pragmatiker mit Weitblick. Wenn ein Mann ihren Zwecken dienen konnte, war es ihnen gleichgültig, welchen Gott er anbetete. Wenn sie den Frieden und damit Wohlstand sichern wollten, dann mussten sie die verschiedenen Völker, die sie unterworfen hatten, irgendwie einen. Es würde keine Sizilianer zweiter Klasse geben. Arabisch, Griechisch, Latein und Französisch sollten die offiziellen Sprachen sein. Und jedermann jedes Glaubens konnte etwas werden, solange er nur fähig war.
    Und ich kann mich wahrhaftig nicht beklagen, dachte er. Immerhin arbeitete er, ein Jude, zusammen mit griechisch-orthodoxen Christen und papistischen Katholiken für einen normannischen König. Die Galeere, die ihn hergebracht hatte, gehörte zur königlichen sizilianischen Flotte unter Oberbefehl eines arabischen Kapitäns.
    In den Straßen da unten streifte die Djellaba das ritterliche Kettenhemd, der Kaftan die Mönchskutte, und ihre Träger bespuckteneinander nicht, nein, sie tauschten Grüße und Neuigkeiten aus und, vor allem, Gedanken.
    »Hier ist es, Herr«, sagte Gaius.
    Gordinus nahm das Schreiben.
    »Ach ja, natürlich. Jetzt fällt’s mir wieder ein … ›
Simon Menahem aus Neapel soll zu einer besonderen Mission aufbrechen
…‹ hmmm, hmmm, ›…
sich die Juden von England in einer recht gefährlichen Notlage befinden … Kinder des Landes gequält und getötet werden
…‹ Wie furchtbar, ›…
und die Juden dieser Taten beschuldigt werden
…‹ Wie furchtbar, wie entsetzlich.
›Ihr seid beauftragt, ei ne Person auszuwählen, die sich gut mit Todesursachen auskennt, die sowohl der englischen als auch der jiddischen Sprache mächtig ist, aber in keiner von beiden geschwätzig, und sie zusammen mit dem genannten Simon zu entsenden.
‹«
    Er sah zu seinem Sekretär auf und lächelte. »Und das habe ich doch, nicht wahr?«
    Gaius wich aus. »Es gab damals gewisse Unklarheiten, Herr …« »Aber natürlich habe ich jemanden geschickt, das weiß ich genau. Und nicht bloß jemanden, der sich mit den Verfallsprozessen des Körpers auskennt, sondern noch dazu Latein, Französisch, Griechisch und die verlangten Sprachen spricht. Eine sehr gelehrige Person. Das habe ich auch Simon gesagt, weil der ein bisschen besorgt schien. Es gibt keine bessere Wahl, habe ich gesagt.«
    »Ausgezeichnet.« Mordecai erhob sich. »Ausgezeichnet.«
    »Ja«, sagte Gordinus mit einem triumphierenden Unterton. »Ich denke, wir haben die Forderungen des Königs haargenau erfüllt, nicht wahr, Gaius?«
    »Bis zu einem gewissen Punkt, Herr.«
    Mordecai war darin geübt, auf Kleinigkeiten zu achten, und ihm fiel die Zurückhaltung des Dieners auf. Und wieso eigentlichwar Simon aus Neapel wegen der Wahl des Mannes, der ihn begleiten sollte, besorgt gewesen?
    »Übrigens, wie geht’s dem König?«, erkundigte sich Gordinus. »Hat sich das kleine Problem gelöst?«
    Mordecai überging das kleine Problem des Königs und sah Gaius an. »Wen hat er geschickt?«
    Gaius schielte zu seinem Herrn hinüber, der wieder anfing zu lesen, und senkte die Stimme: »Die Auswahl der Person in diesem Fall war ungewöhnlich, und ich habe mich gefragt …«
    »Genug, Mann, diese Mission ist äußerst heikel. Er hat doch wohl keinen Orientalen ausgesucht, oder? Einen Gelben? Der in England auffallen würde wie eine Zitrone?«
    »Nein, habe ich nicht.« Gordinus’ Aufmerksamkeit galt wieder ihnen.
    »Ja, wen habt Ihr denn nun mitgeschickt?«
    Gordinus sagte es ihm.
    Mordecai traute seinen Ohren nicht und fragte erneut: »Ihr habt …
wen
geschickt?«
    Gordinus sagte es ihm noch einmal.
    Mordecais Schrei gesellte sich zu den anderen in diesem Jahr der Schreie. »Du dummer, dummer alter Narr.«

Kapitel Zwei
    E NGLAND , 1171

    U nser Prior stirbt«, sagte der Mönch. Er war jung und verzweifelt. »Prior Geoffrey stirbt, und er kann sich nicht

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