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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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nicht dabei war, aber viel damit zu tun hatte, Ehefrauen, die lieber zu Hause geblieben waren, Töchter, Söhne, Honoratioren, Kleriker, Nonnen, sie alle waren pikiert, wenn sie nicht dabei sein durften. Da aber die weitaus meisten durften, hatten diejenigen, die die feine Gesellschaft von Cambridge versorgten, alle Hände voll zu tun und kamen kaum dazu, Luft zu holen und den Namen der Priorin von St. Radegund und ihres treuen Ritters Sir Joscelin zu segnen.
    Erst am Morgen des Tages selbst brachte ein Diener, entsprechend ausstaffiert mit Blashorn, eine Einladung für die drei Fremden in die Jesus Lane, wo Gyltha ihn zu seiner Verärgerung zur Hintertür hereinholte.
    »Vorne ist es gerade schlecht, Matt, der Arzt hat Sprechstunde.«
    »Ich muss aber das Horn blasen, Gyltha. Der Herr möchte, dass alle seine Gäste so eingeladen werden.«
    Gyltha nahm ihn mit in die Küche auf einen Becher selbst gebrautes Bier, denn sie wollte wissen, was alles los war.
    Adelia war in der Halle und stritt sich mit Dr. Mansurs letztem Patienten für den Tag herum. Sie nahm Wulf immer als Letzten dran.
    »Wulf, dir fehlt nichts. Du hast weder die Druse noch Schüttelfrost noch Husten noch die Staupe noch Löffelbrand, was immer das auch sein mag, und ganz sicher laktierst du nicht.«
    »Sagt der Doktor das?«
    Adelia wandte sich müde an Mansur. »Sag was, Doktor.«
    »Gib dem faulen Hund einen Tritt in den Hintern.«
    »Der Doktor verschreibt dir regelmäßige Arbeit an der frischen Luft«, sagte Adelia.
    »Bei meinem Rücken?«
    »Mit deinem Rücken ist alles bestens.« Wulf war für sie ein Phänomen. In einer Feudalgesellschaft, wo bis auf die wachsendeSchicht der Kaufleute jeder jemand anderem Arbeit schuldete, um existieren zu können, war Wulf dem Vasallentum entkommen, wahrscheinlich indem er seinem Herrn weggelaufen war und ganz bestimmt, indem er eine Wäscherin aus Cambridge geheiratet hatte, die bereit war, für sie beide zu schuften. Er war im wahrsten Sinne des Wortes arbeitsscheu. Arbeit machte ihn krank. Aber um nicht zur Zielscheibe des öffentlichen Spottes zu werden, musste er sich für krank erklären lassen, um nicht krank zu werden.
    Adelia war so freundlich zu ihm wie zu all ihren Patienten – sie fragte sich, ob man sein Gehirn nach seinem Tod einlegen und ihr zusenden könnte, denn sie würde es gern auf irgendeinen fehlenden Bestandteil hin untersuchen –, aber sie war nicht gewillt, ihre Pflichten als Ärztin zu vernachlässigen, indem sie ein nicht vorhandenes körperliches Leiden diagnostizierte und Medizin dagegen verschrieb.
    »Was ist mit Simulieren? Da leide ich doch noch dran, oder?«
    »Ganz schlimm«, sagte sie und schob ihn zur Tür hinaus.
    Es regnete noch immer, und es war entsprechend frostig draußen. Da Gyltha partout nichts davon hielt, zwischen Ende März und Anfang November den Kamin in der Halle anzufeuern, war das einzige warme Plätzchen im Anwesen des alten Benjamin die Küche hinter dem Haupthaus, die mit all ihren furchterregenden Gerätschaften eher wie eine Folterkammer anmutete, wenn die verführerischen Düfte nicht gewesen wären.
    Heute barg sie einen neuen Gegenstand, einen Holzbottich, der aussah wie der Kessel einer Waschfrau. Adelias bestes Unterkleid aus safrangelber Seide, das sie in England noch gar nicht getragen hatte, hing an einem Haken darüber, damit der Dampf die Falten glättete. Sie hatte das Kleid nach wie vor oben im Schrank vermutet.
    »Wofür ist der Bottich?«
    »Baden. Du«, sagte Gyltha.
    Adelia war nicht abgeneigt. Sie hatte zuletzt im Haus ihrer Zieheltern gebadet, in dem gekachelten und beheizten Becken, das die Römer rund fünfzehnhundert Jahre zuvor gebaut hatten. Der Eimer Wasser, den Matilda W jeden Morgen hinauf ins Sonnenzimmer trug, war da kein Ersatz. Doch die Szene vor ihr deutete auf ein besonderes Ereignis hin, und sie fragte: »Warum?«
    »Du sollst mich auf dem Fest nich blamieren«, sagte Gyltha.
    Sir Joscelins Einladung an Dr. Mansur und seine beiden Gehilfen, sagte Gyltha, die den Boten ausgefragt hatte, war auf Drängen von Prior Geoffrey erfolgt. Sie waren zwar keine richtigen Pilger, aber hatten den Pilgerzug immerhin auf dem Rückweg begleitet.
    Für Gyltha war das eine Herausforderung. Ihre versteinerte Miene verriet, wie aufgeregt sie war. Da sie sich nun einmal mit den drei komischen Käuzen verbündet hatte, war es wichtig für ihre Selbstachtung und ihren Ruf, dass sie vor den kritischen Augen der vornehmen Gesellschaft

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