Die Totenmaske
einer Hand ihre Augen ab und blickte Zoe mit einem strahlenden Lächeln entgegen, das sämtliche Jacketkronen samt rosa Lippenstift optimal in Szene setzte. Für einen Augenblick war Zoe verblüfft über den Anblick, doch dann gefror das Lächeln. Frau Nauens Miene verdüsterte sich zu dem Das-bekommt-nur-Zoe-zu-sehen- Gesicht. Der funkelnde Blick und die zusammengekniffenen Lippen ließen Frau Nauen zwar alles andere als erfreut wirken, waren für Zoe jedoch zumindest nichts Ungewöhnliches.
»Ach, du hast mir gerade noch gefehlt!«, äußerte Frau Nauen kühl. »Wenigstens werde ich wohl doch nicht hier übernachten müssen.«
Zoe widerstand dem Drang, sich umzudrehen und einfach mit ihrem Wagen davonzufahren. Nicht einmal in einer Situation wie dieser schaffte diese Frau es, freundlich zu ihr zu sein! Sie bat nicht einmal um Hilfe, sondern setzte es einfach voraus. Dabei hätte man doch annehmen können, dass jahrelanges Trainieren von Umgangsformen etwas bewirkt hatten. In Zoes Gegenwart schien Frau Nauen jede gute Erziehung über Bord zu werfen. Doch irgendetwas stimmte nicht. Sie wirkte nervös. Feine Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, ihr Nasenrücken glänzte. Statt Zoe anzusehen, fixierte sie ständig einen imaginären Punkt über Zoes Schulter, während sie sprach.
»Haben Sie versucht, die Pannenhilfe anzurufen?«, fragte Zoe tonlos.
»Hältst du mich für blöd? Hier hat man keinen Empfang.« Frau Nauen hielt demonstrativ ihr Handy hoch. »Aber jetzt bist du ja aufgetaucht. Bestimmt weißt du, was zu tun ist, überaus praktisch veranlagt, wie du bist!«
Ein Kompliment? Eher nicht. Viel mehr ein Ausdruck dafür, dass sie Zoes Erscheinen hinnahm, weil sie keine andere Wahl hatte. Auch wenn es ihr nicht passte.
»Ich bin kein Kfz-Mechaniker.« Zoe ging an ihr vorbei zur Motorhaube hinüber. Der Duft eines teuren Parfüms überlagerte den Ölgeruch aus dem überhitzten Motor.
Frau Nauen stellte sich schräg hinter Zoe und verschränkte die Arme vor der Brust. »Meine Freundin hat mich schon gewarnt, dass so etwas passieren kann.«
Die Frau so nah bei sich zu wissen, trieb eigenartige Schauer über Zoes Rücken. Zu ihrer Erleichterung hatte sie nach einem kurzen Blick das Problem erkannt, was sie dem Umstand zu verdanken hatte, dass ihr Interesse an Autos ein wenig über die Wahl der passenden Innenausstattung hinausging. Kleinere Probleme konnte sie in der Regel lösen – was notwendig war, wenn man nicht mit einer Leiche im Bestattungswagen auf der Autobahn liegenbleiben wollte. Stundenlanges Warten auf die Pannenhilfe konnte sie ihrer leicht verderblichen Fracht nicht zumuten.
»Der Kühlerschlauch hat einen Riss.« Zoe griff nach einem schmutzigen Lappen und öffnete den Wassertank.
Hinter ihr seufzte Frau Nauen theatralisch.
»So schlimm ist das nicht. Wir brauchen nur Wasser nachzufüllen, dann schaffen Sie es bis zur nächsten Werkstatt«, erklärte Zoe.
»Na dann!« Sie trat einen Schritt zurück und deutete auf den Kofferraum. »Da hinten müsste so ein kleines … Dingsda drin sein.«
»Ein Wasserkanister«, ergänzte Zoe. »Gut, den brauchen wir.«
Doch Frau Nauen machte keine Anstalten, sich zu bewegen, so dass Zoe sich selbst daranmachte, die Aufgabe des Dienstpersonals zu übernehmen. Hilfsbereitschaft in allen Ehren. Wahrscheinlich befürchtete Frau Nauen, sich einen ihrer kunstvollen Fingernägel abzubrechen.
Nach einem kritischen Blick auf ihre eigenen blau lackierten Nägel, die an den Spitzen schon abblätterten, umrundete Zoe das Auto. Vor dem Kofferraum hielt sie inne und wandte sich Frau Nauen zu. Ein Gedanke schoss ihr plötzlich durch den Kopf. Vielleicht bot dieses Treffen eine Möglichkeit, die Differenzen zwischen ihnen beizulegen. Auch wenn Zoe damit leben konnte, nicht von jedem gemocht zu werden, überkam sie Frau Nauen gegenüber das Bedürfnis, sich zu versöhnen. Niemand hatte gern Feinde. Die Frau hatte viel durchgemacht, wofür Zoe sie aufrichtig bedauerte. Doch sie konnten die Uhr nicht zurückdrehen, sondern sollten einen Weg finden, auf zivilisierte Weise miteinander umzugehen. Sie lebten in einem kleinen Ort und würden sich immer wieder begegnen.
Zoe räusperte sich. »Frau Nauen, ich möchte Ihnen gern sagen, dass es mir zutiefst leidtut, was Ihnen widerfahren ist. Es waren schreckliche Ereignisse, die uns getroffen haben. Doch wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen und sollten versuchen, nach vorn zu blicken.«
Noch ehe sie den
Weitere Kostenlose Bücher