Die Totenmaske
wodurch sich jedoch der Knoten noch enger zusammenzuziehen schien. Schnaufend zog sie die Luft durch die Nase – zu wenig für größere Anstrengungen. Bloß nicht heulen, sonst verstopft die Nase! O Gott, wenn sie doch bloß diesen Knebel loswerden könnte!
Ein Handy klingelte wie aus dem Innern einer Blechbüchse. Impulsiv geriet Zoes Körper in Bewegung, soweit es die Enge zuließ. Sie drehte und wendete sich, versuchte, mit den gefesselten Händen ihre vordere Hosentasche zu erreichen. Ein verzweifeltes Schluchzen drang aus ihrer Kehle, durchtränkte den ohnehin schon feuchten Knebel mit Speichel. Es würde ihr nicht gelingen, den vermeintlich rettenden Anruf entgegenzunehmen. Eine Stimme ertönte hinter ihr aus dem Fahrerraum. Erschrocken hielt sie inne.
»Was willst du?«, erklang Frau Nauens unterkühlte Stimme.
Zoes Wirbelsäule wurde zu Eis. Die Frau saß tatsächlich immer noch vorn im Wagen, während sie im Kofferraum um ihr Leben kämpfte! Ihre Fassungslosigkeit schlug in Entsetzen um. Mit klopfendem Herzen lauschte sie dem Gespräch – oder, besser gesagt, dem einseitigen Monolog.
»Ich bin auf dem Weg nach Kastellaun zu meiner Schwester.«
Eine kurze Pause, in der offenbar der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung zu Wort kam.
»Natürlich weiß ich, wie spät es ist! 3:30 Uhr. Na und?«, gab sie in zänkischem Ton auf den vermeintlichen Einwand zurück.
Schnell überflog Zoe die Stunden, seit sie das letzte Mal auf die Uhr gesehen hatte. Ihr Herz raste. Sie dämmerte seit dem frühen Abend zwischen Ohnmacht und Wachsein vor sich hin. Was sollte das? Dachte die Frau, sie wäre tot? Aber dann hätte sie sie doch einfach hier liegen gelassen und nicht selbst die halbe Nacht im Auto verharrt.
Sie zuckte zusammen, als Frau Nauen weitersprach, deutlich lauter und bestimmender.
»Unterlass es gefälligst, mich zu bevormunden! Dreißig Jahre habe ich mich vor dir geduckt, und was ist dabei herausgekommen? Nichts! Mein Sohn wurde getötet, und mein Leben ist verpfuscht. Ich habe es so satt …«
»… nein, ich werde mich nicht beruhigen. Ich fahre zu meiner Schwester, um etwas Abstand zu gewinnen. Wir treffen uns morgen bei Gericht …«
»… ist mir egal, ob es dir passt oder nicht …«
Zoes Augen flogen panisch im Dunkeln hin und her. Herrgott, sie musste sich irgendwie bemerkbar machen! Frau Nauen sprach mit ihrem Mann. Dieser würde nicht zulassen, dass seine Frau etwas tat, was sein Ansehen gefährden könnte. Dazu gehörte nicht nur ein verspäteter Emanzipationsversuch, sondern auch Körperverletzung. Verfluchter Knebel! Zoe bemühte sich zu schreien, doch mehr als ein gutturales Stöhnen war nicht möglich. Trotz schmerzender Knochen rollte sie sich zur Seite und stieß rhythmisch mit der Schulter gegen die dünne Wand zwischen Kofferraum und Rückbank. Doch schon bald verließ Zoe erneut die Kraft. Schweiß rann ihr in die Augen. Bitte, lieber Gott, lass ihn das Klopfen gehört haben!
Vorn unterbrach Frau Nauen ihre Tiraden mitten im Satz. Einen Moment herrschte Stille. Vermutlich hielt sie den Finger auf den Lautsprecher, bevor sie weitersprach.
»Keine Ahnung, was das für ein Geräusch war … wer sollte mir etwas antun? Ich stehe hier mitten in der Pampa … natürlich kann ich weiterfahren, sobald du dieses unnötige Gespräch beendest … danke, bis morgen.«
Das Handy wurde ausgeschaltet und landete mit einem Plumps auf dem Polster. Die Wagentür wurde geöffnet und zornig zugeschmissen. Schritte näherten sich Zoes engem Gefängnis. Regungslos verharrte sie, wagte weder zu atmen noch zu blinzeln. Angst war wie ein Flächenbrand auf trockener Steppe – einmal entfacht, war er kaum noch zu bezwingen.
Nachdem Leon mehrfach an Zoes Haustür geklingelt und geduldig gewartet hatte, beschloss er, zum Wagen zurückzukehren. Gerade als er sich umwenden wollte, fuhr das elektronische Garagentor neben dem Haus auf.
Isobel Lenz trat aus dem Halbdunkel. »Was wollen Sie?«
Sie wischte sich die Hände mit einem Lappen ab, den sie auf das kopfüber gestellte Damenfahrrad warf, bevor das Tor wieder heruntergerollt war.
»Kommissar Strater«, sagte Leon sicherheitshalber, weil er nicht sicher war, ob die Frau sich an ihre erste Begegnung erinnerte. »Ich leite die Untersuchungen im Mordfall der drei Jungen und würde gern mit Zoe sprechen.«
Isobel trat einen Schritt vor und warf einen Blick hinter Leon zur Straße, als wollte sie prüfen, ob er allein war. Obwohl
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