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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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am Ende. Resolut schob er Leon zur Seite. Pilot und Krankenpfleger hoben die Trage an.
    Leons Knie wurden weich vor Erleichterung. Er musste sich abwenden, weil seine Gefühle ihn zu übermannen drohten. Das Angebot des Arztes, mitzufliegen, lehnte er dankend ab. Er hatte noch etwas zu erledigen. Sofort wollte er zum Gericht zurückfahren und Frau Nauen verhaften, die dort von Kollegen festgehalten wurde. Inzwischen dürfte Herr Nauen für einen Riesenaufstand gesorgt haben, nachdem ihnen verwehrt wurde, das Gebäude zu verlassen, bis Leon sich meldete. Damit dürfte die politische Karriere des angehenden Abgeordneten einen empfindlichen Dämpfer erhalten haben. Diese Familie hatte schon zu lange geglaubt, über jede dunkle Machenschaft ein Mäntelchen hängen zu können. Genügend Einfluss hatte ihnen ermöglicht, ihren Sohn seiner gerechten Strafe zu entziehen. Für die versuchte Vergewaltigung und Gott weiß was für weitere unzählige Delikte. Die Frau glaubte, mit Geld Helfershelfer kaufen zu können, um für sie die Drecksarbeit zu erledigen, und ihr Gatte hatte stets wie ein mächtiger Schutzpatron über seine aus den Fugen geratene Familie gewacht.

    »Die Krankenschwester sagte, du warst die ganze Nacht hier?«
    Zoe gab sich Mühe, streng zu klingen, was ihr aber nur mäßig gelang. Sie saß aufrecht im Bett, den Kopf angelehnt, weil sie immer noch von Kopfschmerzen geplagt wurde. Da bisher keine Übelkeit oder sonstigen Symptome eingetreten waren, gingen die Ärzte davon aus, dass sie keine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Dennoch sollte sie vorsichtig sein.
    Leon trat näher. Ein verschmitztes Grinsen vermochte kaum den übernächtigten Eindruck in seinem Gesicht zu überdecken. Er ignorierte die bereitstehenden Besucherstühle und setzte sich auf die Bettkante.
    »Hi«, erwiderte er auf ihre Rüge. »Freut mich auch, dich zu sehen!«
    »Ich war nicht in Lebensgefahr und habe lediglich Kopfschmerzen. Ein echter Dickschädel eben.« Sie grinste.
    »Und ein angebrochenes Schienbein«, versuchte er, sich zu verteidigen.
    Sie war nicht daran gewöhnt, umsorgt zu werden. Ein bisschen unangenehm war es ihr schon, dass Leon die ganze Nacht an ihrer Seite gesessen hatte. Vielleicht sollte sie einfach lernen, so etwas anzunehmen. Sie gab nach, was sie mit einer Grimasse verdeutlichte, und wechselte das Thema.
    »Hast du die Fotos gesichtet? Gab es etwas darauf zu entdecken?«
    »Bist du sicher, dass du dich schon fit genug fühlst?«
    Der besorgte Ausdruck in seinem Gesicht irritierte Zoe einen Augenblick. Über Frau Nauens Verhaftung hatte er ihr gestern Abend noch berichtet. Nun schien es an der Zeit, sich wieder um den Mordfall zu kümmern. Ihr schwante, dass er diesbezüglich Neuigkeiten hatte, die ihr möglicherweise nicht gefallen würden.
    »Verlass dich drauf!«, antwortete sie gefasst.
    Sein Lächeln wollte den Hauch von Schatten auf seinem Gesicht überspielen. Er zog einen Stapel Fotos aus der Tasche und breitete sie auf ihrer Bettdecke aus. »Das sind längst nicht alle.«
    Zoe blickte auf die Fotos, die sich wie eine grüne Schar auf dem hügeligen weißen Untergrund verteilten. »Oh, nicht doch! Sag bloß, du musstest einen ganzen Stapel mit Joshs künstlerischen Botanikadaptionen sichten?«
    »Zweihundertfünfunddreißig waren es genau.«
    »Das ist nicht dein Ernst!«, erwiderte Zoe lachend. »Josh hat ständig irgendwelches Grünzeug fotografiert. Vermutlich war es sein Ausgleich zu seinen sonst eher nüchternen Interessen. Er konnte stundenlang bei uns hinterm Haus stehen und Blumen fotografieren.«
    Sie nahm gedankenverloren ein Foto nach dem anderen in die Hand. Zwar war ihr Joshs Faszination für Nahaufnahmen von Blättern nie wirklich klargeworden, doch sie verstand seine ungewöhnliche Leidenschaft. Es ging ihr mit den Totenmasken nicht anders. Beides konnte auf Außenstehende absonderlich wirken.
    »Wenn ich ihn danach gefragt habe, hat er immer geantwortet, er würde eben gern schöne Dinge fotografieren.«
    »Das kann ich gut nachvollziehen.«
    Leons sanfte Stimme erinnerte sie daran, selbst ein beliebtes Motiv gewesen zu sein. Beschämt senkte sie den Blick und konzentrierte sich auf die Bilder. Unter all den gleichförmig wirkenden Aufnahmen sprang ihr eine ins Auge wie eine Natter, die unerwartet aus dem Gestrüpp hervorschießt. Ein leiser Schreck durchfuhr sie. Zoe spürte Leons Blicke, wagte aber nicht, ihn anzusehen. Ebenso zögerte sie in vorübergehender Starre, nach dem Foto

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