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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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drängte sie die Erinnerung an ihre eigene prekäre Lage seinerzeit zurück. Es nutzte niemandem, wenn sie Schwäche zuließ. Außerdem gab es jetzt einen entscheidenden Unterschied: Boris war allein. Ohne seine Kumpel an der Seite brachte er garantiert nur halb so viel Mut auf. Zumindest hoffte Zoe das, während ein leiser Zweifel sie überreden wollte, wegzulaufen. Sie straffte die Schultern und erkannte, dass sie sich in ihrer Verkleidung selbstsicher genug fühlte, um Boris entgegenzutreten. Allein um dem Mädchen zu helfen, musste sie es tun. Schließlich befanden sie sich nicht im tiefsten Wald, ohne Aussicht auf Hilfe. Es waren genügend Menschen in der Nähe. Zwar hatten diese vorhin keine Anstalten gemacht, einzugreifen, doch Zoe war sicher, dass sich das ändern würde, wenn sie genügend Alarm schlug.
    Wohlweislich ignorierte sie Boris und ging bewusst lässig auf das Mädchen zu, soweit es ihre weichen Knie erlaubten.
    »Da bist du ja, Mia! Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.« Sie reichte dem verwirrt dreinblickenden Mädchen die Hand und zog sie aus Boris’ Griff.
    Dessen Kinnlade klappte vor Erstaunen nach unten. Anscheinend war er es nicht gewöhnt, in seinem Handeln unterbrochen zu werden. Nach dem ersten Überraschungsmoment fand er sein hämisches Grinsen wieder. »Wen haben wir denn da? Eine Kampfamazone im Lady-Gaga-Style. Ziehst du jetzt dein Schwert, oder sollen wir zwei um den Block ziehen?«
    Ungewohnte Verachtung stieg in Zoe auf und gab ihr Kraft. Erbärmliche Kreaturen im attraktiven Gewand waren noch widerwärtiger als irgendwelche hässlichen Freaks. Boris war von der übelsten Sorte, dessen unkontrolliertes Verhalten bereits in der Kindheit aufgefallen und von seinen Eltern als Übermut abgetan worden war.
    »Verzieh dich, du Spinner!« Die Worte waren Zoe über die Lippen gekommen, ohne dass sie es hätte verhindern können. Obwohl es genau das war, was sie sagen wollte, konnte sie kaum fassen, es laut ausgesprochen zu haben. Das Mädchen neben ihr keuchte und blickte sie mit großen Augen an.
    Das Grinsen gefror auf Boris’ Gesicht. »Ganz schön große Klappe, Schnecke! Wenn ich es mir recht überlege, würde ich mich gern einmal von deinen Beinen umwickeln lassen. Wie lang sind die? Zwei Meter?«
    Zoe baute sich vor ihm auf. Auf einer Augenhöhe mit ihrem einstigen Peiniger zu sein, hatte schon etwas Erhebendes. Ihre eins achtzig, dank hoher Absätze, trugen sicher ihren Teil dazu bei, die Fassade aufrechtzuerhalten. Denn viel mehr war es nicht. Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt bei der Vorstellung, er würde plötzlich zuschlagen. Einem Fausthieb hatte sie nichts entgegenzusetzen. Da machte sie sich nichts vor, auch wenn das Mädchen sie gerade anblickte, als wäre sie eine aus ihrem Computerspiel entstiegene Lara Croft. Nur nichts anmerken lassen! Keine Angst zeigen, egal, wie sehr ihr das Blut in den Ohren rauschte.
    Ein Hauch von Unsicherheit spiegelte sich in Boris’ Miene. Um darüber hinwegzutäuschen, hängte er beide Daumen in seine Hosentasche und schlenderte langsam auf Zoe zu. Ein gefährliches Blitzen trat in seine Augen.
    Das Mädchen fest an sich gezogen, wich Zoe zurück und wünschte sich, irgendjemand würde endlich eingreifen. Ein Blick über die Schulter zeigte jedoch, dass sie darauf leider nicht hoffen konnte. Man sollte eben nie vom Weg abkommen, damit hatte ihre Mutter eindeutig recht. Warum musste sie sich auch immer einmischen?
    Boris blieb abrupt stehen, als Zoe in ihre Hosentasche griff. Anscheinend erwartete er eine Dose Pfefferspray. Sie beschloss, in Zukunft welches dabeizuhaben. Für den Moment musste jedoch ihr VIP-Ausweis reichen. Damit wedelte sie ihm unter der Nase herum. »Ein Wort von mir, und du handelst dir ein lebenslanges Hausverbot im Pydna ein! Darauf kannst du dich verlassen! Mit Verweisen dürftest gerade du dich auskennen.« Zoe war überrascht, wie bedrohlich hart ihre Stimme klang.
    »Häh?« Er starrte sie blöde an. Mit zusammengekniffenen Augen reckte er sein Kinn vor wie ein verstörter Gockel, um sie zu mustern.
    Einen Moment überkam Zoe ein Anflug von Panik, den sie auf der Stelle unterdrückte. Nicht einmal ihre eigene Mutter hätte sie erkannt. Ihre Bemerkung hatte auf jeden Fall gesessen. Ein Hausverbot schloss das gesamte Gelände mit ein. Das war schon einigen Randalierern sauer aufgestoßen. Dennoch machte Boris keine Anstalten, zu gehen, sondern versuchte mit einem möglichst bedrohlichen Blick,

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