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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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betrachtete das Bild genauer. Schon die Vergrößerung verpixelte die Aufnahme fast bis zur Unkenntlichkeit. Selbst mit modernsten Bilderkennungsverfahren dürfte es kaum möglich sein, mehr zu erkennen. Der Beifahrer war leicht zur Seite geneigt, als würde er mit dem Kopf am Fenster lehnen. Das Gesicht des Fahrzeugführers verschwand fast vollständig hinter der Sonnenblende. Eine heruntergeklappte Sonnenblende ergab bei Nacht ebenso wenig Sinn wie eine Sonnenbrille. Gedankenlosigkeit oder Aufschneiderei steckte vielleicht dahinter. Oder die bewusste Absicht, etwas zu verbergen. Die Mitfahrer auf der Rückbank ließen sich allenfalls als Schattengestalten erahnen. Am unteren Rand prangten das Aufnahmedatum und die Uhrzeit. Die Aufnahme stammte von Freitagnacht. Anscheinend hatten ein paar junge Leute am Wochenende in Partylaune die Geschwindigkeitsbegrenzung vergessen. Heute war Dienstag in der Woche darauf. Leon rieb sich nachdenklich das Kinn, während er sich fragte, was es mit dem Radarbild auf sich hatte.
    »Wir haben es hier mit einem Verkehrsunfall zu tun, bei dem es drei Tote gab.« Hauptkommissar Neumann deutete auf das Radarbild. »Der abgebildete Pkw stürzte einen Steilhang hinab. Unfallort: ein Abbruchgelände, südwestliches Gebiet Hunsrück.«
    Er betätigte die Maus, um ein weiteres Bild an die Leinwand zu projizieren: einen völlig zertrümmerten Wagen, teilweise zusammengedrückt wie eine Ziehharmonika, besonders der Fahrerraum, dessen Dach fast komplett auf die Karosserie gedrückt worden war. Das zerbeulte Kennzeichen war zumindest lesbar und identisch mit dem auf dem Radarbild.
    »Beifahrer und die dahinter sitzende Person wurden bei dem Sturz durch die Windschutzscheibe geschleudert. Ihre Körper fanden die ermittelnden Kollegen weiter oben. Die dritte Person kam bei dem Aufprall zu Tode, eingequetscht im Wagen.«
    Leons Blick wanderte unwillkürlich zum Radarfoto, von dem jedem am Tisch eine Kopie vorgelegt worden war. Demnach musste die vierte Person im Wagen vorher ausgestiegen sein.
    »Der dritte Mann – handelte es sich um den Fahrzeugführer?«, fragte Leon.
    »Wir gehen davon aus, aber genau ließ sich das nicht ermitteln. Der Junge wurde mächtig im Fahrzeug herumgeschleudert. Es gab Spuren, die belegen, dass er versucht haben muss, aus dem Wagen zu springen, während dieser abstürzte.«
    Hauptkommissar Neumann verteilte die Kopien der Obduktionsberichte, denen jeweils Fotos der übel zugerichteten Unfallopfer beigefügt waren. Sofort versuchte Leon, die Bilder mit den Insassen auf dem Radarbild zu vergleichen. Doch schon bald musste er feststellen, dass es kaum möglich war, Ähnlichkeiten der Personen auf einer schlechten Schwarzweißaufnahme mit den von Verletzungen deformierten Gesichtern auszumachen. Leon blätterte die Fotos aus der Pathologie durch, auf denen jedes einzelne Opfer aus verschiedenen Perspektiven abgelichtet war. Die nackten Körper wiesen auffällige Schwellungen an den Extremitäten sowie unzählige Totenflecken auf. Demnach mussten sie schon eine Weile gelegen haben, bevor jemand sie fand. Dem Bericht zufolge hatte sich die Totenstarre bereits gelöst, was zwei bis drei Tage nach Eintritt des Todes geschah.
    Neumann klickte das nächste Bild an. »Ein Spaziergänger entdeckte das Autowrack und verständigte unverzüglich die Polizei. Die Pathologen im örtlichen Kreiskrankenhaus haben einen relativen Todeszeitpunkt ermittelt: Freitagabend gegen 22:30 Uhr.«
    Abwartende Stille breitete sich im Raum aus. »Relativ« bedeutete bei einer gewöhnlichen Obduktion plus/minus drei Stunden. Genauer war es in der Regel auch nicht nötig, wenn die Todesursache eindeutig und Fremdeinwirkung auszuschließen war. Ein Unfall bildete ein klares Merkmal. Doch etwas stimmte nicht. Leon durchsuchte die vor ihm liegenden Berichte und Fotos. Dabei rechnete er die jeweilige Karenzstundenzahl vor und nach dem ermittelten Todeszeitpunkt aus. Sein Blick fiel auf die Daten des Radarbildes. Die Aufzeichnung stammte von Sonntagmorgen, 2:40 Uhr. Stutzig geworden, verglich Leon die Uhrzeiten erneut. Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie eine heiße Welle. Er biss sich auf die Lippen, damit seine Vermutung nicht vorzeitig aus ihm herausplatzte. Was hatte das zu bedeuten? Die jungen Männer waren in die Radarkontrolle geraten, obwohl sie nachweislich bereits über vierundzwanzig Stunden tot waren.
    Seine Kollegen hatten die Unterlagen oberflächlich gesichtet und warteten nun darauf, von ihrem

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