Die Totenmaske
sich in Leons Magengegend breit, während er sich in Gedanken die richtigen Worte für seinen Einwand zurechtlegte.
»Aus Mangel an Indizienbeweisen sehe ich mich gezwungen, diesen Fall vorerst zu den Akten zu legen«, schloss der Hauptkommissar seine Rede.
Ein Raunen zog durch den Raum, unterlegt von verhaltenem Flüstern. In Leons Kopf rauschte es, seine Fingerspitzen kribbelten. Die Worte seines Chefs vibrierten wie das Echo eines Gongschlags durch seinen Körper. Er drängte die aufsteigende Wut zurück und starrte ins Nichts, um seine Gedanken zu ordnen. Es würde zu nichts führen, wenn er sich von seinen Gefühlen lenken ließ. In der Vergangenheit hatte sich gezeigt, dass es besser war, wenn er sein aufbrausendes Wesen im Zaum hielt. Es war schlicht unprofessionell und brachte ihm nicht mehr ein als verständnislose Blicke seiner Kollegen. Doch erschienen ihm diese Entscheidung besorgniserregend, zumal es Wege gab, speziell in diesem Fall weiter zu ermitteln. Die Hinweise auf einen Serientäter waren eindeutig. Vermutlich ein durchgeknallter Drogensüchtiger oder Dealer im Revierkrieg. Seine Handschrift hatte er an mehreren Tatorten hinterlassen, doch waren jedes Mal zu viele Personen anwesend gewesen. Eine aufwendige Befragung von möglichen Verdächtigen und Szenemitgliedern könnte weiterführen. Anscheinend sah niemand in seiner Einheit eine Notwendigkeit dazu. Leon konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die meisten am Tisch den Abschluss eines Falls mit dem Klingeln zur großen Pause gleichsetzten.
Der Hauptkommissar hatte während seiner Rede jeden Einzelnen im Raum angeschaut. Zum Schluss blieb sein fester Blick an Leon haften, als wollte er ihm die Endgültigkeit dieses Beschlusses verdeutlichen. Vor allem schien ihm daran zu liegen, jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken. Doch hier ging es nicht um Gehorsam, sondern um Berufsehre.
Ehe Leon sich davon abhalten konnte, waren die Worte aus seinem Mund gesprudelt. »Komm schon, Willi! Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
Er hasste es, seinem Vorgesetzten zu widersprechen, zumal sie oft einer Meinung waren. Natürlich musste Willi sich an seine Vorgaben halten. Doch Leon konnte nicht widerstandslos jede unsinnige bürokratische Regelung hinnehmen.
Der Hauptkommissar hob tadelnd die Augenbrauen, was Leon dazu bewog, sich zu besinnen. Schnell setzte er sich wieder, um sich zu sammeln. Willi Neumann war ihm stets wohlgesinnt, und Leon wusste instinktiv, dass der ältere Mann ihn verstand. Die formlose Anrede war für ein offizielles Treffen nicht angebracht, sondern gehörte in den privaten Bereich. Später konnte Leon sich mit dem Hauptkommissar noch austauschen, wie sie es ohnehin häufig taten.
»Kollege Strater, wollten Sie uns etwas mitteilen?«, fragte Neumann.
Leon ignorierte das missmutige Seufzen einiger Kollegen ebenso wie die verhaltenen Blicke auf die Armbanduhren. Die anstehende Mittagszeit hatte bei manchen dieselbe Wirkung wie der bevorstehende Feierabend. Da wollte man nichts Neues mehr anfangen. Nun, manchmal ging es eben nicht anders.
Neben ihm lehnte Georg sich mit vor der Brust verschränkten Armen zurück.
Leon atmete tief durch. »Ich bin der Meinung, dass wir etwas verfrüht handeln. Wurden alle Verdächtigen befragt?«
»Soweit es die Ermittlungsarbeit der Soko betrifft. Wer von den Morden weiß, schweigt, um seine eigene Haut zu retten. Wir haben es mit einem wahren Syndikat zu tun, das schwer zu durchdringen ist«, entgegnete Willi. »Zum jetzigen Zeitpunkt bleibt uns nichts weiter, als Beweise zu sammeln.«
»Und zu warten, bis es noch mehr Opfer gibt?« Leon starrte seinen Chef verständnislos an.
»Herrgott noch mal, mach doch nicht jedes Mal so ein Aufhebens!«, warf Georg genervt in die Runde.
Leon ballte seine Hand zur Faust. Er konnte kaum fassen, was der Kerl da von sich gab. »Sie ist ein Mordopfer, ebenso wie die Frauen davor!«
»Was schlägst du denn vor, Klugscheißer?« Georg beugte sich zu ihm herüber. »Mit gezückter Knarre in Wildwest-manier durch die Drogenszene zu jagen, bis irgendein Freak sich in die Hose macht und plaudert?«
Die gehässige Anspielung auf seine zerschlagenen Karrierepläne brachte Leon auf, doch er riss sich zusammen. Georg war es nicht wert, sich eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzuhandeln, nur weil der Drang, ihm die Nase zu brechen, gerade übergroß war.
»Nein, Georg, wir könnten es mit guter alter Polizeiarbeit versuchen: ohne Unterlass die Leute
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