Die Totenmaske
befragen, ein Täterprofil erstellen oder neue technische Möglichkeiten heranziehen, statt uns für die nächsten zwanzig Jahre zurückzulehnen und auf die Pension zu warten!«, konterte Leon.
Georg verzog keine Miene und tauschte mit ein paar Kollegen am Tisch Blicke aus. Im Gegensatz zu Georg standen einige von ihnen tatsächlich kurz vor ihrer Pension, was für Leon keinen Grund dafür lieferte, untätig die Beine hochzulegen.
Er ließ sich nicht beirren und wandte sich an den Hauptkommissar: »Britische Forensiker forschen seit längerem an einem System zur Entschlüsselung verschiedener DNA-Merkmale. Das Verfahren nennt sich DNAboost und wurde bereits in einer Pilotphase erfolgreich getestet.«
»Nun ja, erfolgreich nenne ich etwas anderes, als dreißig Prozent mehr gelöste Fälle«, erwiderte Neumann ruhig. »DNAboost kann helfen, mögliche Täter aufzuspüren, aber es identifiziert nicht den tatsächlichen Täter. Solange die Forschungen nicht abgeschlossen sind, besteht ein zu hohes Risiko fehlerhafter Analysen.«
Und bis dahin würde der Staat keine Gelder lockermachen. Eine zu unsichere Spekulation. Bürokraten waren eben keine Visionäre. Leon und Willi hatten bereits über diese neue Technik diskutiert, mit der man unterschiedliche DNA-Spuren am Tatort unterscheiden konnte. Während Leon begeistert von diesen neuen Möglichkeiten war, verhielt Willi sich zwar kritisch, aber immerhin interessiert. Deutsche Kriminalämter verwendeten nach wie vor Standardmethoden zur Analyse von DNA-Spuren, was in eine Sackgasse führen konnte.
»Ach, die Engländer wieder mit ihrem Science-Fiction-Zeug! Geben eine Menge Kohle für unsinnige Forschungen mit fragwürdigem Ergebnis aus. Am Ende kommen geklonte Schafe dabei raus.« Georg lachte über seinen eigenen Witz und erntete immerhin ein paar zustimmende Grinser am Tisch.
»Seit wann ist denn Fortschritt unsinnig?« Leon spürte, wie die Diskussion im Sand verlief, und ärgerte sich darüber.
»Genug jetzt, meine Herren!« Hauptkommissar Neumann hatte die Stimme erhoben, bevor die Zornesröte Georgs Nasenwurzel erreichen konnte.
Sofort herrschte Ruhe, obwohl die meisten Kollegen ohnehin die ganze Zeit schweigend der Diskussion gelauscht hatten. Anscheinend wussten nur die gestandenen Damen und Herren, wie man Haltung bewahrte. Leon musste zugeben, dass es ihm nicht immer leichtfiel, mit seinen persönlichen Ansichten an sich zu halten. Eine bewundernswerte Fähigkeit, für die es sicherlich einer Menge Erfahrung bedurfte. Er hingegen hatte sich hinreißen lassen, obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht mehr auf Georgs Provokationen einzugehen. Um sich seine Betroffenheit nicht anmerken zu lassen, klopfte er mit dem Kugelschreiber auf die Tischkante. Letztlich war es eine Folge seiner eigenen Unzufriedenheit, die es ihm erschwerte, Tatsachen hinzunehmen und einzusehen, dass manche Diskussionen verschwendete Energie waren. Vielleicht war es nicht das Team, das ihm Schwierigkeiten bereitete, sondern er selbst. So konnte es auf keinen Fall weitergehen. Er nahm sich vor, ernsthafter als bisher in Betracht zu ziehen, etwas in seinem Leben zu ändern.
»Dein Enthusiasmus in allen Ehren, Leon, doch es führt uns nicht weiter, wenn ein Streit ausbricht«, vernahm er Willi. »Ich habe nicht gesagt, dass der Fall abgeschlossen wird, sondern für unsere Abteilung vorerst zu den Akten gelegt wird. Die Kollegen von der Kripo werden sich weiter darum kümmern.«
»Schon in Ordnung«, erwiderte Leon.
Der Hauptkommissar ordnete den Papierstapel vor sich, bis er fündig wurde. »Gehen wir zum nächsten Punkt über!«
Er klickte ein paar Menüpunkte auf seinem Laptop an. Die Leinwand hinter ihm zeigte eine Reihe technischer Daten, bis die neongrüne Vergrößerung eines kompletten Radarbildes erschien. Undeutlich waren die Umrisse von vier Wageninsassen zu erkennen. Wieder so eine veraltete Technik im deutschen Kriminalwesen! Es gab längst digitale Geschwindigkeitsmesser, auf deren Fotos jeder Pickel eines Fahrers zu erkennen war. Kein Vergleich zu der röntgenbildartigen Darstellung auf der Leinwand. Wenigstens war das Kennzeichen deutlich zu sehen.
Dennoch wurde Leons Interesse sofort geweckt. In welcher hinterwäldlerischen Gegend der Apparat auch immer aufgestellt und vermutlich vergessen worden war – es steckte offenbar mehr dahinter als ein Verkehrsdelikt. Sonst wäre das Foto nicht in den Zuständigkeitsbereich der Mordkommission geraten. Er richtete sich auf und
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