Die Totenmaske
davon war er überzeugt. Doch in unwegsamen Wäldern gab es zu viele Unterschlupfmöglichkeiten. Es ergab keinen Sinn, weiterzulaufen, also hielt er inne. Vornübergebeugt atmete er tief durch. Schweiß tropfte von seiner Stirn. Das Adrenalin in seinem Blut hielt die Enttäuschung in Grenzen. Er gab nur ungern auf, doch aufgeschoben war nicht aufgehoben. Irgendwann würde er die Kerle zur Strecke bringen!
Als er zum Haus zurückkehrte, erwartete Zoe ihn an der Tür. Ihr Gesicht war aschfahl, aber sonst gab es keinen Hinweis auf einen Tränenausbruch oder Nachhall von Angst, wie es Leon in solchen Fällen bei Opfern häufig erlebt hatte. Durchaus verständlich, wenn gerade ein Angriff auf Leib und Seele verübt worden war. Doch nicht bei dieser jungen Frau. Stattdessen wirkte sie gefasst. In der Hand hielt sie ein zerknittertes Blatt Papier, das sie ihm reichte.
»Das war um einen der Steine gewickelt.«
Nachdem er ihr einen weiteren besorgten Blick zugeworfen hatte, las er die in fetten Lettern gedruckte Botschaft: Mörderin! Wir kriegen dich, kleine Schlampe!
Prüfend drehte er den Zettel um und betastete das Papier. Handelsüblich und überall erhältlich. Ebenso der benutzte Tintenstrahldrucker.
»Haben Sie eine Idee, von wem das kommen könnte? Haben Sie irgendwelche Feinde?«
Diese Fragen wirkten mitunter etwas seltsam, doch verbargen sie die reinsten psychologischen Fallen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit entschlüpfte den meisten Befragten spontan ein Name, der zwar nicht unbedingt zur Aufklärung eines Falles führte, aber häufig eine wichtige Spur für die weiteren Ermittlungen darstellte.
Zoe runzelte die Stirn. »Ach, das waren irgendwelche Idioten, die sich einen Streich erlauben«, antwortete sie eine Spur zu gleichgültig.
»Das war wohl ein bisschen mehr als ein Streich. Die Steine wurden gezielt in Ihre Richtung geworfen.«
Leon kam der Gedanke, dass seine Anwesenheit hier möglicherweise zu diesem Angriff beigetragen haben könnte. Offenbar hatte sich im Ort herumgesprochen, dass ein Polizeibeamter aus Mainz den Unfall der drei Männer untersuchte. Anlass dafür mochte schon sein Telefonat mit dem Krankenhaus gewesen sein. Oder Bewohner hatten sein Autokennzeichen gelesen, als er durch das Dorf gefahren war. Das alles konnte zu wilden Spekulationen unter denjenigen führen, für die bislang kein Zweifel daran bestanden hatte, dass es sich bei dem Unglück um einen tragischen Unfall handelte. Oder er hatte schlafende Hunde geweckt, und der Täter verlor die Nerven, weil er bemerkte, dass man ihm auf der Spur war. Nichts kochte schneller über als eine Gerüchteküche.
Die junge Bestatterin war still geworden und wich Leons Blick aus, schien etwas zu verbergen. Nach dem Angriff noch hatte er ihre Angst deutlich gespürt, und wenig später wiegelte sie ihn als Streich ab.
Erneut überflog er den Zettel. Da glaubte wohl noch jemand, dass der Unfall keiner gewesen war, und wollte die junge Bestatterin dafür verantwortlich machen. Er konnte sich vorstellen, dass sie nicht zum ersten Mal eine Fläche für Anfeindungen bot. Allein ihr Beruf dürfte einfachen Gemütern genug Stoff für Spott bieten. Zudem unterschied sie sich deutlich von anderen Frauen in ihrem Alter, wirkte reifer, irgendwie abgeklärt. Nicht jeder dürfte ihre Eigenarten reizvoll finden, wie Leon es tat. Er hatte das sichere Gefühl, dass Zoe Lenz etwas Besonderes war, ohne es genau bestimmen zu können.
Zoe zuckte mit den Achseln. Ihre Miene verdüsterte sich wie bei jemandem, der einen inneren Kampf ausfocht. Dann wechselte ihre Stimmung schlagartig. Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, das nicht ihre Augen erreichte.
»So ist das eben mit den Lausbuben.«
Leon musterte sie verwundert. Diese Aussage passte eher zu seiner Oma, nicht zu einer so jungen Frau. Wie alt mochte sie sein? Anfang zwanzig, schätzte er.
Sie drehte sich um und begab sich zur Kellertür. Leon folgte ihr in den Behandlungsraum. Zu seiner Verblüffung hatte sie bereits die Scherben von der Anrichte und vom Boden gefegt. Der Besen lehnte vor dem Glashaufen an der Wand. Die beiden Steine lagen ordentlich in Plastiktüten auf einem Beistelltisch. Sie schien zu ahnen, dass er die Tatwaffen der Spurensicherung zuführen wollte, damit sie nach Fingerabdrücken suchen konnten.
Zoe sammelte ein paar übrig gebliebene Glassplitter vom Körper der Leiche. Klimpernd landeten diese in einer Metallschale. Es sah ganz danach aus, als wollte sie mit der Arbeit
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