Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
Vom Netzwerk:
überrascht, als er das anscheinend vollständig klinisch ausgerüstete Untergeschoss des dreistöckigen Jugendstilhauses erblickte.
    Von außen hob sich das von einer parkähnlichen Gartenanlage umgebene Anwesen zwar deutlich von den schlichten Einfamilienhäusern in Birkheim ab, wirkte aber dennoch auf zurückhaltende Weise vornehm. Vermutlich trug die Lage am Ortsrand ihren Teil dazu bei. Einzig das messingbeschlagene Hängeschild vor der Toreinfahrt deutete diskret auf das Bestattungsunternehmen hin.
    Der sterile Raum, in dem er nun stand, unterschied sich nicht von einer offiziellen rechtsmedizinischen Abteilung. Der Geruch ebenso wenig. Manche Leute gerieten in Panik, wenn ihnen beim Zahnarzt der typische Geruch von Desinfektionsmitteln in die Nase stieg. In pathologischen Einrichtungen kam jedoch zusätzlich der süßliche Leichengeruch hinzu. Jeder Pathologe, Rechtsmediziner und höchstwahrscheinlich auch die junge Bestatterin stritten dessen Existenz vehement ab. Vermutlich hatten sie sich längst daran gewöhnt. Leon ließ sich diesbezüglich nichts einreden. Er roch es so deutlich, als stünde er neben einer Tonne mit Fischabfällen. Dagegen konnte er nichts unternehmen. Es war, wie es war, nämlich überaus lästig.
    Er hätte es vorgezogen, sich mit der kleinen Rennfahrerin oben weiter zu unterhalten. Schon allein, weil es ihm gefiel, sie anzuschauen und ihr zuzuhören. Ihre verdrießlich wirkende Miene stand im Gegensatz zu ihrem faszinierenden Gesicht. Als lägen zwei unterschiedliche Schablonen aufeinander, durch die sich ein Betrachter erst hindurcharbeiten musste, um ihr wahres Ich zu erkennen. Auffallend geschwungene Augenbrauen ließen sie unentwegt kritisch wirken, ihr herzförmiger Mund schien nicht zu wissen, dass er lächeln konnte. Ein Hauch von Lipgloss lockerte die Ernsthaftigkeit ein wenig auf, ebenso der rotkarierte Minirock, den sie über schwarzen Strumpfhosen trug. Ihr Blick wirkte unter den dichten Wimpern schwermütig, als läge die Last der ganzen Welt auf ihren Schultern. Zu gern hätte er ein Lächeln auf ihre Lippen gezaubert, um ihr Gesicht erstrahlen zu lassen. Als sie vor ihm die Treppe hinabgestiegen war, wehte von ihren dunklen Locken der Geruch eines sonnigen Tages zu ihm herauf, was ihr südländisches Erscheinungsbild unterstrich.
    »Wollen Sie einen Mundschutz?«, fragte sie plötzlich und hielt ihm ein grünes Stoffstück hin.
    Leon fuhr leicht zusammen, als ihre Stimme ihn in die Gegenwart zurückholte.
    Sie stellte das kleine Glasfläschchen zurück auf die Anrichte. Ätherisches Öl vermutlich, damit keine üblen Gerüche durch den Mundschutz drangen. Sein Magen machte einen Satz. Leon beschloss, dass es wenig sinnvoll wäre, den Helden zu spielen, indem er den Mundschutz ablehnte. Er war nicht einmal sicher, ob er sich trotz Schutzmaßnahme gleich ganz unheldenhaft blamieren würde.
    »Danke.« Er nahm den Mundschutz entgegen.
    Zoes dunkle Augenbrauen zogen sich kritisch zusammen. Ansporn genug für Leon, sich endlich zusammenzureißen. Er stand doch nicht zum ersten Mal in einer Leichenhalle!
    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machte Zoe sich daran, den Reißverschluss eines der Leichensäcke aufzuziehen. Leon beeilte sich, den Mundschutz anzulegen, und trat näher an die Liege.
    Abgesehen von der klaffenden Wunde am Schädel und dem aufgequollenen Fleischklops, der einst ein Gesicht gewesen war, sah der Leichnam aus wie … ein Leichnam eben. Überaus plastisch noch dazu. Mist! Was redete er sich da wieder ein? Er atmete tief durch. Das Duftöl benebelte seine Sinne, aber wenigstens roch er sonst nichts.
    »Womit fangen wir an?« Zoe blickte ihn erwartungsvoll an, eine Augenbraue leicht angehoben.
    Erleichtert riss Leon seinen Blick von der Leiche. »Wir sollten versuchen, den Todeszeitpunkt möglichst genau zu bestimmen, und ihn mit den Daten im Obduktionsbericht vergleichen.«
    Sie nickte. »Für einen Pupillenreaktionstest dürfte es zu spät sein. Der ergibt nur Sinn, wenn der Todeseintritt maximal zwanzig Stunden zurückliegt. Aber wir könnten einen Blick hineinwerfen, wenn Sie wollen?«
    »Wie? In ihn?« Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Leiche.
    »Ja, klar. Ich kann den T-Schnitt erneut öffnen, das Brustbein wurde schon durchgesägt. Ich brauche nur den Brustkorb aufzuziehen, und, voilà, liegt alles zur Untersuchung bereit.«
    Leon schluckte. »Das können Sie?«
    »Ich habe Seminare in Pathologie und Thanatologie mitgemacht. Die Scheine hängen

Weitere Kostenlose Bücher