Die Totenmaske
geradezu spektakulär. Wenn sich das erst herumgesprochen hatte, würde es einen ziemlichen Wirbel verursachen. Vor ihrem geistigen Auge sah Zoe schon Frauen in geblümten Kittelkleidern vor dem Kurzwarengeschäft stehen, die aufgeregt ihre Einkaufskörbe umklammerten, während sie den neuesten Tratsch verbreiteten. Was für Geschichten dabei am Ende herauskamen, wollte sie sich gar nicht erst vorstellen. Dagegen mussten Strater die gekehrten Straßen und peinlich genau gestutzten Rasenflächen vor den blendend weißen Häuserfassaden in Birkheim nahezu idyllisch vorkommen.
»Die Radarfalle muss ich völlig verdrängt haben«, erwiderte Zoe mit dem mäßigen Schuldbewusstsein einer passionierten Raserin. Noch war sie nicht sicher, was er ihr sagen wollte, doch sie ahnte bereits, dass sich mehr dahinter verbarg, wenn aus Mainz ein Beamter der Sonderkommission geschickt wurde.
Der Todeszeitpunkt war in der pathologischen Untersuchung der Rechtsmedizin nahezu minutiös ermittelt worden. Der Zersetzungsprozess eines Körpers folgte seinen naturbestimmten messbaren Werten. Bezog man einige Eckdaten mit ein wie Temperatur, Umstände des Todes oder Liegezeit der Leichen, blieb kaum Raum für etwaige Irrtümer. Wie sollte ein völlig zerstörter Wagen mit drei Leichen Stunden später geblitzt worden sein?
»Das Gerät ist ziemlich veraltet«, erklärte Strater und verzog den Mund, als müsste er sich persönlich dafür schämen. »Das Radarbild war undeutlich, zeigte jedoch schemenhaft die Umrisse von vier Insassen.«
»Vier?« Verdutzt blickte Zoe ihn an. »Aber …«
»Es gibt nur drei Leichen«, vollendete er ihren Satz und veränderte seine Haltung. »Auf die ich gern einen Blick werfen würde – oder, besser gesagt: Ihre Meinung dazu hören würde. Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Ein bisschen befangen wirkte er nun doch, zumal ihm klar sein musste, dass einer Bestatterin in der Regel nichts auffiel, was von den Rechtsmedizinern nicht längst untersucht worden wäre. Es sei denn, es wurde nicht ordnungsgemäß gearbeitet. Immerhin schienen die Indizien überdeutlich auf einen Unfall hinzuweisen. Allerdings ließen vier Personen auf einem Radarbild, von denen drei unten in Zoes Kühlhaus lagen, den Verdacht aufkommen, dass die fehlende Person möglicherweise mit dem Unfall in Verbindung stand.
»Ich kann Proben von Urin und Fäulnisblasen nehmen, um sie zur Untersuchung auf mögliche Gifte in die Klinik zu schicken«, bot Zoe an. »Das könnte möglicherweise weiterhelfen, um nachträglich einen exakteren Todeszeitpunkt zu bestimmen. Ansonsten bin ich noch nicht weit gekommen, seit die Leichen gestern Morgen geliefert wurden.«
»Machen sie das nicht normalerweise in der Forensik?« Der junge Mann runzelte die Stirn.
Zoe schüttelte den Kopf. »Für gewöhnlich gibt es zu dem Zeitpunkt, wenn eine Leiche in der Rechtsmedizin liegt, noch keine Fäulnisblasen, denen man Flüssigkeit entziehen kann. Sie tauchen erst auf, wenn die Verwesung einsetzt. Zwar waren die drei schon ein paar Tage lang tot, doch alle Anzeichen deuteten auf Tod durch Unfall hin. Ich vermute, man sah keine Notwendigkeit für eine genauere Obduktion.« Sie zuckte mit den Achseln und ging zur Ladentür, um diese abzuschließen. »Es ist nicht unbedingt Teil der Standardbehandlung, wenn keine außergewöhnlichen Todesumstände zu vermuten sind, aber ich bin gern bereit, mein Aufgabengebiet zu erweitern. Wir können in den Behandlungsraum hinuntergehen.«
Sie lief voraus und wartete an der Kellertür. Nach einem kurzen Zögern folgte Strater ihr durch die Empfangshalle. Sein Blick schweifte forschend durch die Räumlichkeiten. In seinem Gesicht zeigte sich eine Mischung aus Neugier und zurückhaltendem Interesse. Aber da war noch etwas anderes. Seine angespannten Wangenmuskeln ließen ihn gehemmt wirken, was Zoe verwunderte. Er schien nicht davon begeistert zu sein, in die internen Arbeitsbereiche eines Bestatters eingeweiht zu werden. Dabei dürfte das für ihn nichts Neues sein. Ein bisschen blass um die Nase wirkte er schon.
»Ich gehe davon aus, dass Ihnen der Anblick nicht allzu sehr zusetzen wird. Als Polizist sind Sie sicherlich einiges gewöhnt«, erwähnte sie, während sie die Treppe hinabstieg.
Er stieß hinter ihr einen unbestimmbaren Laut aus.
Surrend flackerte die Neonbeleuchtung im weißgekachelten Behandlungsraum auf und erleuchtete die drei verhüllten Körper auf den Tischen. Leon war nicht wenig
Weitere Kostenlose Bücher