Die Totenmaske
Vielleicht ein bisschen von jedem, auch wenn es ihr nicht behagte.
»Sein Kopf hat ganz schön was abbekommen«, meinte Strater und deutete auf Boris’ eingedrückte Gesichtshälfte. »Kriegen Sie das deformierte Gesicht wieder hin?«
»Ich bin gerade dabei, ihm ein neues anzurühren.«
Er nickte, obwohl sein Gesicht fragend dreinblickte. Zoe verzog die Lippen zu einem Lächeln. Für gewöhnlich sah ihr niemand bei der Arbeit zu, doch er war Polizist. Das war etwas anderes. Außerdem amüsierte Zoe sein Wechselspiel von berufsbedingtem Interesse und deutlich erkennbarer Ratlosigkeit. Er trat schwungvoll zur Seite, als sie mit der Schüssel auf den Leichnam zuging. Mit einem Schaber füllte sie große Kleckse der Plastilin-Knetmasse in den geöffneten Schädelbereich der Leiche. Hinter sich vernahm sie einen unterdrückten Laut. Er würde doch hoffentlich nicht in Ohnmacht fallen! Das hätte ihr gerade noch gefehlt. Doch er folgte jedem ihrer Handgriffe und verzog nur manchmal das Gesicht. Zoe fühlte eine gewisse Genugtuung dabei, ihr Können zu demonstrieren. Sie wusste, dass sie gut in ihrem Job war. Ebenso war ihr klar, wie unappetitlich der Anblick für ihn sein musste. Vergeblich versuchte sie, ein Lächeln zu unterdrücken, das sich in ihre Mundwinkel schlich. Ein bisschen schelmische Schadenfreude machte sie nicht gleich zu einem schlechten Menschen.
Sie legte eine Hand auf den Oberkopf und drückte mit der anderen die Masse so weit in die Stirnhöhle wie möglich. Dabei musste sie behutsam vorgehen, denn sie wollte dem zerstörten Schädel nicht noch mehr Schaden zufügen. Ihre Finger drangen tief ins Innere des Kopfes vor. Ab jetzt musste sie sich auf ihr Fingerspitzengefühl verlassen. Um sich besser konzentrieren zu können, blinzelte Zoe zur Zimmerdecke, während sie die Knetmasse weiter vordrückte. Fest presste sie die Masse gegen die Schädelinnenwand. Mit einem Knirschen sprang der eingedrückte Knochen zurück an seinen ursprünglichen Platz.
»Wuah!«, kam es von dem jungen Mann.
Zoe blickte kurz zu ihm hinüber und fuhr dann fort, den Schädelbereich mit Modelliermasse zu füllen. Den Rest verteilte sie mit einem Spatel auf der Gesichtshälfte wie Schokoglasur auf einem Kuchen.
»Das lasse ich über Nacht trocknen. Morgen werde ich das Gesicht rekonstruieren«, erklärte sie.
»Okay. Das ist zwar höchst aufschlussreich, reicht mir aber für heute.« Lächelnd hob er in gespielter Abwehr die Hände. Er wandte sich um und sammelte seine Beweistüten ein. Trotz der lässigen Geste wirkte er leicht angespannt. Zoe stellte die Metallschüssel in ein Becken und ließ heißes Wasser einlaufen, um die Restmasse zu entfernen.
»Ich werde die Proben morgen in die Gerichtsmedizin bringen. Umso schneller haben wir ein Ergebnis.«
»Wir?« Zoe schaute ihn überrascht an.
Seine Schultern spannten sich kaum merklich an, während seine Augen für einen kurzen Moment einen imaginären Punkt hinter Zoe fixierten, als wollte er über seine nächsten Worte nachdenken. Als er seinen Blick wieder auf sie richtete, folgte die Pupille seines rechten Auges der Bewegung etwas zeitversetzt, rollte dann an ihren Platz zurück und stellte die kurzzeitig gestörte Symmetrie seines Gesichtes wieder her.
Etwas rührte sich in Zoe wie winzige Sprudel hinter ihrem Brustbein. Ihr wurde bewusst, dass sie ihn attraktiv fand. Irgendwie rührend, wie er sein Unbehagen durch ein verschmitztes Grinsen zu überspielen versuchte.
»Na ja, ich werde noch eine Zeitlang hier in der Gegend beschäftigt sein. Wir werden uns sicher noch einmal begegnen. Vielleicht bergen die Ergebnisse der Proben weitere sachdienliche Hinweise, für die ich Ihre Hilfe gern in Anspruch nehmen würde. Wenn Sie nichts dagegen haben, natürlich.«
»Ich wüsste gern, was die Analyse ergibt.« Zoe bemühte sich um einen sachlichen Tonfall, um sich den kleinen Aufruhr ihrer Gefühle nicht anmerken zu lassen.
Strater räusperte sich, bevor er weitersprach. »Nun, dann bedanke ich mich erst einmal dafür, dass Sie mir so bereitwillig Auskunft gegeben haben.« Unter den einen Arm die Tüten geklemmt, kam er mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
Sie reichte ihm ihrerseits eine mit flüssiger Modelliermasse verschmierte Hand. Schmatzend schmiegten sich ihre Hände aneinander. Erst jetzt bemerkten sie ihr Missgeschick.
»'tschuldigung!«, riefen sie wie aus einem Munde.
Keiner hatte daran gedacht, die Handschuhe abzustreifen. Mit einem verlegenen Grinsen
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