Die Totensammler
Christchurch zu meinen Lebzeiten weniger als ein Dutzend Mal über vierzig Grad hatten. In einem warmen Sommer steigt die Temperatur vielleicht zehnmal auf etwas über dreißig Grad, in einem kühlen vielleicht einmal. Letzte Woche waren es knapp vierundvierzig, und ich habe so ein Gefühl, dass es heute nicht anders sein wird.
Ich parke im Schatten einer Birke und lasse die Fenster einen Spaltbreit offen, damit der Druck von der Hitze im Innern kein Loch ins Dach bohrt. Vor der Psychologischen Fakultät steht ein Streifenwagen. Ich laufe an einer Doppeltür mit der Aufschrift Verladerampe der Psychologischen Fakultät vorbei. Vielleicht verfrachten sie hier die Verrückten in die Hörsäle, als Anschauungsobjekt für die Studenten. Ich gehe nach oben und marschiere an Coopers Büro vorbei, nicke den beiden Polizisten zu, die davor Wache halten. Sobald ich den Flur verlassen habe, rufe ich Donovan Green an. Durch die Lüftungsschlitze kann ich auf dem Dach einige Tauben hören; sie sind so laut, dass ich mir einen Finger ins Ohr stecken muss.
»Ich habe von den Fotos gehört«, sagt er. »Aber die Polizei wollte sie mir nicht zeigen.«
»Das ist nur zu Ihrem Besten.«
»Sie haben sie gefunden, oder?«
»Ja.«
»Und trotzdem haben Sie nicht angerufen.«
»Das tu ich ja jetzt.«
»Wir hatten eine Abmachung, vergessen? Zuallererst sollten Sie mich verständigen, nicht die Polizei.«
»Emma ist jetzt in noch größerer Gefahr.«
»Aber sie ist noch am Leben. Ich habe Ihnen gesagt, dass sie eine Überlebenskünstlerin ist.«
»Ich schätze, die Tatsache, dass Cooper Riley entführt wurde, hat ihr vielleicht das Leben gerettet«, sage ich, »aber das wissen wir nicht.«
Ich laufe die Flure der Psychologischen Fakultät auf und ab, bis ich den Serverraum gefunden habe. Die Computer sind alle fest miteinander verkabelt. Ich kann ihre Gebläse hören und die Klimaanlage, die den Raum kühl hält. Im Innern hockt ein Typ, er ist ganz bleich und hat offensichtlich nicht mitgekriegt, dass draußen eine Hitzewelle brütet, weil er seit seinem dreizehnten Lebensjahr kein Sonnenlicht mehr gesehen hat. Inzwischen ist er um die zwanzig, hat struppiges Haar und lange Koteletten. Während ich ihn betrachte, überlege ich, wie viel Geld wir wohl brauchen werden. Ich schätze, mehr, als ich dabeihabe.
»Und? Wo suchen wir jetzt?«, fragt Green.
»Ich habe eine Spur, aber ich brauche etwas Geld.«
»Wie viel?«
»Fünf Riesen. Vielleicht weniger.«
»Wofür?«
»Erklär ich Ihnen, wenn Sie hier sind«, sage ich und erzähle ihm, wo ich bin, dann lege ich auf und warte.
Kapitel 26
Adrian verfällt wieder in seinen alten Trott. Er war drei Jahre aus The Grove fort und hat es die ganze Zeit vermisst, auch wenn er wirklich nicht weiß, warum, denn von den zwanzig Jahren, die er hier war, hat er jede Minute gehasst. Als er und die anderen gehen mussten, wurden sie gruppenweise in offene Einrichtungen gesteckt, um sie in die Gesellschaft einzugliedern. Bei einigen mit Erfolg, bei anderen vergeblich, einige haben sich umgebracht, und einige sind als Obdachlose auf der Straße gestorben. Man richtete Bankkonten für sie ein, auf die ihr Krankengeld überwiesen wurde; sie bekamen fast zweihundert Dollar pro Woche von einer Regierung, der es egal war, was aus ihnen wurde. Adrian hatte nie Albträume, bevor er in der offenen Einrichtung gewohnt hat, in dieser heruntergekommenen, hölzernen Version seines eigentlichen Zuhauses, das von einem Mann geleitet wurde, der sich selbst »der Prediger« nannte. Das Gebäude war nicht mal ein Viertel so groß wie Grover Hills, mit lediglich einer Küche und zwei Schlafzimmern, die sie sich teilen mussten. Er hatte ein gemeinsames Zimmer mit einem Mann in seinem Alter, der im Rollstuhl saß. Man hatte ihn von einer anderen Anstalt herverlegt, die ungefähr zur selben Zeit geschlossen worden war. Er sprach kein einziges Wort mit ihm, und eine Weile nahm Adrian ihm das übel, doch als er erfuhr, dass der Mann deshalb so schweigsam war, weil ihm die Zunge abgebissen worden war, verflog sein Ärger allmählich. Er wusste jedoch nicht, ob sich der Mann die Zunge selbst abgebissen hatte oder ob es jemand anders gewesen war. So oder so, bei der Vorstellung wurde ihm ganz anders. Das lauteste Geräusch überhaupt gab der Mann vor fünf Monaten von sich, als er sich an einem Hühnerknochen verschluckte und starb; die Farbe wich aus seinem Gesicht, und es bildeten sich schwarze Ringe unter den Augen.
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