Die Totensammler
ihr nie verziehen, dass sie ihn in der offenen Anstalt nicht besucht hat. Nach all den gemeinsamen Jahren schien es, als wäre er ihr die ganze Zeit egal gewesen.
Er hasste die offene Anstalt, und drei Jahre … drei Jahre waren einfach zu viel. Er wollte hierher zurück. Aber das war nicht möglich. Er ging immer wieder zum Krankenhaus und wartete davor auf Pamela Deans. Manchmal versteckte er sich im Parkhaus auf der anderen Straßenseite, manchmal im gegenüberliegenden Park, im Schatten eines Baums, und beobachtete sie. Jedes Mal wollte er sie ansprechen, doch jedes Mal war er zu nervös.
Dann, eines Tages, änderte sich alles.
Adrian lernte Auto fahren.
Das erste Mal, als er sich hinter das Steuer eines Wagens setzte, war er wie gelähmt, doch bald wich dieses Gefühl einer nervösen Anspannung, die sich schließlich in freudige Erregung verwandelte. Sein Lehrer, Ritchie, war selbst kein versierter Fahrer, aber natürlich wusste er besser Bescheid als Adrian. Ritchie war zwanzig Jahre älter als er und hatte fünf davon in The Grove verbracht, bis die Anstalt dichtgemacht wurde. Ritchie hatte eine Menge Dinge getan, die Adrian nie tun würde – er war verheiratet, hatte Kinder und arbeitete schon fünfzehn Jahre lang im gleichen Beruf, er gab Gitarrenunterricht. Er versuchte, es Adrian ebenfalls beizubringen, doch für ihn hatte die Gitarre fünf Saiten zu viel. Dafür brachte er ihm das Fahren bei. Von all den Dingen, die Adrian getan hatte, hatte ihm das mit am meisten Spaß gemacht. Sie lachten viel, und ein paar Sträucher und Briefkästen mussten dran glauben. Doch er war noch nie so entspannt gewesen wie zu jener Zeit, als ihm sein bester Freund zeigte, wie man bremst und steuert, und ihn in der Fertigkeit des Schaltens unterwies, eine Fertigkeit, die man ganz präzise ausführen musste, weil man sonst den Wagen abwürgte. Er lernte sogar, wie man tankte und die Reifen aufpumpte.
Die Fähigkeit, Auto zu fahren, schenkte ihm Freiheit. Und dank dieser Freiheit konnte er tun, was er wollte, sich hinbegeben, wohin er wollte. Das eröffnete ihm ein völlig neues Spektrum an Möglichkeiten. Es verschaffte ihm Zugang zu Grover Hills, zu den Leuten, die ihm wehgetan hatten, Zugang zu einem neuen Leben. Und er wollte vor allem eins: dass sein neues Leben genauso war wie sein altes – nur ohne die Zwillinge.
Das war also sein Plan. Er würde wieder in The Grove wohnen, und Schwester Deans würde sich um ihn kümmern. Er musste nur dafür sorgen, dass die Zwillinge nicht dort aufkreuzten und ihm wehtaten.
Ein paar Jahre bevor The Grove geschlossen wurde, hatten die Zwillinge dort aufgehört. Es war ziemlich leicht, ihre Adresse herauszufinden. Es war ein tolles Gefühl, als er letzte Woche in ihrem Haus auftauchte, es war das erste Mal, dass er jemanden getötet hat. Mann, war er nervös. So nervös, dass er fast den Hammer fallen ließ. Doch er hat es geschafft. Er hat die beiden erschlagen und dann ihren Wagen genommen. Sie werden ihn nicht mehr brauchen.
Er wollte hier wohnen, er wollte, dass Grover Hills wieder so wie früher war, jetzt wo die Zwillinge tot waren, und er wollte, dass Schwester Deans hier mit ihm wohnte.
Aber sie wollte nicht.
Er brachte seine Sachen hier raus, doch es dauerte nicht lange, und er fühlte sich einsam. Sein bester Freund hat eine Frau kennengelernt, und ihre Freundschaft ist durch die neue Beziehung in den Hintergrund gedrängt worden. Adrian ist eifersüchtig auf die beiden und gleichzeitig freut er sich für sie, wenn auch nicht so sehr, dass er sie auffordern würde, zu ihm zu ziehen. Er wünschte nur, die Dinge hätten sich anders entwickelt. Jetzt wo er wieder hier ist, kann er sich deutlich an die schönen Momente erinnern, und davon hatte es viele gegeben. Er erinnert sich an einige der Mörder, die hierherkamen und blieben, junge Männer und Frauen, denen nicht ganz bewusst war, was sie getan hatten, oder den Anschein erweckten. Denn manchmal, nachts, erzählten sie ihm bis ins kleinste Detail von ihren Taten, und ihre Geschichten erwachten zum Leben. Er konnte die Einzelheiten durch ihre Augen sehen, sie widerten ihn an und versetzten ihn gleichzeitig in Erregung. Einige Geschichten waren so lebhaft, dass sie ihm fast wie seine eigenen Erinnerungen vorkamen.
Jedes Mal nach solchen Erzählungen ging er auf sein Zimmer und arbeitete an seinen Comics. Er wurde immer besser. Egal, was für eine Geschichte er gerade gehört hatte, er zeichnete sie. Er versetzte sich
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