Die Totensammler
Er ist ein Experte auf diesem Gebiet. Wenn das stimmt, hat er vielleicht auch über Leute geschrieben, die in Grover Hills gelandet sind.«
»Wie komme ich an ein Exemplar davon?«
»Sie meinen, falls dieses Buch tatsächlich existiert? Die Sache ist nämlich die: Er hat es nie veröffentlicht. Einige Studenten fanden das einen Witz. Professor Riley tut so, als wüsste er alles, trotzdem findet er keinen Verlag. Das heißt wohl, dass er doch nicht genug wusste.«
»Kennst du jemanden, der es gelesen hat?«
»Nein. Ich weiß ja nicht mal, ob er es überhaupt geschrieben hat. Vielleicht ist das wie bei einer dieser modernen Legenden. Aber wenn er es geschrieben hat, müsste es auf seinem Computer sein, oder?«
»Genau«, sage ich und denke an den Plastikklumpen, in den sich sein PC zu Hause verwandelt hat.
Nachdem ich aufgelegt habe, rufe ich Schroder an. Er lässt es sechsmal klingen, bevor er abhebt.
»Tate, gut, dass du anrufst«, sagt er. »Ich hab mir alles noch mal gut überlegt, und so wie sich die Dinge momentan entwickeln, überlässt du die Sache besser mir. Sicher, wir wollen Emma Green finden, aber wir müssen auch an den Prozess denken. Und wenn du uns dazwischenfunkst, gefährdet das eine Verurteilung.«
»Ich dachte, du wolltest mich auf dem Laufenden halten.«
» Das kannst du jetzt vergessen, Tate .«
»Und Natalie Flowers? Hast du mit ihren Eltern gesprochen?«
Er seufzt, und ich rechne damit, dass er gleich auflegt, doch er fährt fort. »Wir haben mit ihrer Mutter gesprochen. Der Vater ist einen Monat nach Natalies Verschwinden gestorben. An gebrochenem Herzen, wie sie glaubt. Sie meinte, Natalie wäre zu seiner Beerdigung gekommen, wenn ihr nichts Schlimmes passiert wäre, aber das ist sie nicht. Erinnerst du dich an den Melissa-Flowers-Fall?«
»Mehr oder weniger.«
»Die ganze Geschichte hat der Familie schwer zugesetzt, und als dann auch noch Natalie verschwand, na ja, den Rest kannst du dir denken. Wir haben der Mutter unsere Bilder von Melissa X gezeigt. Sie meint, sie sieht zwar wie ihre Tochter aus, aber sie ist es nicht. Schon letztes Jahr hat sie die Fotos in der Zeitung gesehen und dasselbe gedacht. Ich schätze, sie kann nicht fassen, zu was ihre Tochter möglicherweise fähig ist, darum sieht sie auf diesen Bildern nur eine Fremde. Hör zu, Tate, wenn wir so vorgehen, wie du es willst, dann schnappen wir den Typen vielleicht und finden Cooper, doch am Ende müssen wir sie wieder laufen lassen, weil ihr Verteidiger darauf verweist, dass ein verurteilter Straftäter die Tatorte verunreinigt hat. Wenn wir so vorgehen, verliere ich außerdem meinen Job, und dann kann ich für niemanden mehr etwas tun, der vermisst wird.«
»Die Verbindung zwischen …«
»Mensch, Tate, lass es.«
»Ich versuche, dir zu helfen.«
»Nein, tust du nicht. Du versuchst, dir selbst zu helfen. Du fühlst dich für Emma Green verantwortlich, aber das bist du nicht.«
»Ich …«
»Ich leg jetzt auf, Tate. Es ist nur zu deinem Besten.«
Ich fange an, im Arbeitszimmer auf und ab zu gehen, und lockere dabei mein Knie. Es ist immer noch geschwollen, aber nicht mehr so angespannt wie gestern. Der Regen hat nachgelassen, und das Wasser im Rinnstein fließt wieder ab. In der Ferne schimmern blaue Flecken Himmel. Schroders Standpunkt leuchtet mir ein, doch das darf mich nicht im Geringsten kümmern, wenn ich versuchen will, Emma Green das Leben zu retten. Mir geht es um den kurzfristigen Erfolg, ihm um den langfristigen. Mir darum, ein Mädchen zu retten, ihm, das Leben zukünftiger Mädchen.
Es muss irgendwo ein Exemplar von Cooper Rileys Buch geben. Falls er zu Hause daran gearbeitet hat, wurde es restlos zerstört. Doch Riley scheint jemand zu sein, der irgendwo anders eine Sicherungskopie davon hat. Vielleicht verborgen auf einem USB-Stick, der irgendwo auf der Rückseite eines Akten schranks klebt. Oder, noch wahrscheinlicher, auf seinem Büro computer.
Ich trete ins Freie, und ein warmer Wind schnipst die Regentropfen von den Bäumen in mein Gesicht. Als ich bei der Uni vorfahre, haben sich die dunklen Wolken verzogen. Im Osten ist der Himmel noch grau, doch im Westen schon vollkommen blau, und die Sonne knallt auf die halbe Stadt herab. Auf dem Parkplatz stehen mehr Autos als gestern, und es sind mehr Leute unterwegs. Alle wirken frischer als in den vergangenen Tagen. Das könnte sich allerdings wieder ändern, denn mit jeder Minute wird der Morgen schwüler. Ich kann mich erinnern, dass wir in
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