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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
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geschneidert wurde – eine Realityshow, in der mehrere Hellseher Verbrechen aufklären. In keinem einzigen Fall haben ihre Erkenntnisse zu einer Verhaftung geführt. Sie berühren gerne Kleidungsstücke, Schlüssel oder einen Hundewelpen des Opfers, oder sie sitzen mit geschlossenen Augen in einem dunklen Zimmer voller Kerzen, den Kopf leicht zur Seite geneigt und die Brauen zusammengezogen, während sie Verbindung mit einer anderen Bewusstseinsebene aufnehmen, um danach ihre Vorhersagen auszuspucken. Sie veranstalten ein Riesentrara, und es ist ihnen scheißegal, wem sie damit wehtun. Dabei hat jeder von ihnen ungefähr so viele übersinnliche Fähigkeiten wie ein Ziegelstein. Jonas Jones verdient mit diesem Schwindel eine hübsche Stange Geld. Er hat zwei Bücher geschrieben, und aus irgendeinem Grund werden sie gekauft; den Leuten ist egal, dass er echte Opfer und ihren echten Schmerz ausnutzt, dass er Kapital aus dem Schicksal von Menschen schlägt, die durch die Hand eines anderen gestorben sind. Seine Autobiografie unterschlägt die Tatsache, dass er vor zehn Jahren noch Gebrauchtwagenhändler war und Konkurs angemeldet hat, nachdem er zweimal wegen sexueller Belästigung verklagt worden war.
    Ich stelle den Ton lauter.
    »… mehr kann die Polizei nicht tun, und darum wird es immer Bedarf an Leuten mit meinen Fähigkeiten geben«, sagt er.
    »Ich liebe diese Sendung, jedes Mal wenn ich Ihnen bei der Ar beit zusehe, kriege ich eine Gänsehaut« , sagt die Moderatorin, »und ganz besonders mag ich Ihr neues Buch.« Sie beugt sich vor, dann streicht sie ihr Haar zurück und wirft ihm einen Blick zu, mit dem eine hungrige Person eine Pizza mustern würde .
    »Danke, Laura, schön zu hören«, sagt er und funkelt sie mit seinen Zähnen an. »Es ist gerade raus, und wenn man es noch heute auf meiner Webseite bestellt, bekommt man zehn Prozent Rabatt, bei zweien sogar zwanzig. Es eignet sich wunderbar als Geschenk, Laura.«
    »Ich weiß, Jonas. Wenn ich einen Freund hätte, würd ich ihm bestimmt auch eins kaufen«, sagt sie, und man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass das ein Signal an seine Adresse war. »Es spricht einfach jeden an.« Ich verdrehe die Augen und kann mich nicht entscheiden, ob ich nach der Fernbedienung oder einer Kotztüte greifen soll. Während ich noch unschlüssig dahocke, wirft sie Jonas einen weiteren Satz an den Kopf, und der weckt meine Neugier. »Sie haben mir vor der Sendung erzählt, dass Sie Informationen zu Emma Green haben, zu dem jungen Mädchen aus Christchurch, das verschwunden ist.«
    »Ja, eine wirklich traurige Geschichte, fürchte ich.«
    Zum ersten Mal in seiner Karriere liegt er tatsächlich richtig.
    »Christchurch ist bekannt für solche Geschichten«, sagt sie. »Die Polizei nennt die Stadt inzwischen sogar ›Crimechurch‹«.
    »Aus gutem Grund«, sagt er, und damit liegt er ebenfalls richtig. Er hat einen echten Lauf. Ich sollte ihm besser zu Ende zuhören.
    »Was können Sie uns über Emmas Verschwinden sagen?«
    Hinter ihnen wird groß ein Bild von der lächelnden Emma Green eingeblendet. Links und rechts sind weitere Arme und Schultern zu sehen, von Freunden oder Familienangehörigen, die man abgeschnitten hat. Es scheint sich um ein aktuelles Foto zu handeln. Im Hintergrund ist etwas Grünes zu erkennen, ein Baum oder ein Busch.
    »Sie ist nicht verschwunden«, sagt er, »sie wurde entführt.«
    »Und glauben Sie, dass sie noch am Leben ist?«
    Jonas wirkt bedrückt, schafft es jedoch gleichzeitig, seine Beißerchen zu zeigen. Er muss diesen Gesichtsausdruck vor dem Spiegel geübt haben, als er noch Gebrauchtwagen verkauft und seinen Kunden erzählt hat, dass er wegen der defekten Kühlpumpe an dem Fahrzeug, das sie gerade gekauft haben, leider nichts machen könne. Auf einem kleinen Couchtisch zwischen ihm und der Moderatorin stehen Exemplare seines Buches, hinter ihnen ein Blumenstrauß, alles ist ganz beiläufig arrangiert.
    »Leider nein«, sagt er und setzt auf die Wahrscheinlichkeit. Das machen Hellseher so. Sie analysieren die Situation und halten sich dann an die Statistik. Wenn in Christchurch ein junges Mädchen verschwindet, besagt die Statistik, dass sie in der Mehrzahl der Fälle entführt wurde. Und dass sie tot ist. Und Arschlöcher wie Jonas Jones nutzen solche Geschichten, um Werbung für ihr neues Buch zu machen. Dieselbe Bewusst seinsebene, auf die er sich mit seiner geistigen Kontaktaufnahme begibt, hat auch seinen Kontostand im Auge.

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