Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
bestens ausgebildeter Ritter überlisten!
    Othilia hatte ihn freudestrahlend empfangen. Mit kleinen Trippelschritten war sie einige Male um ihn herumgelaufen, hatte an seinem Wams gezupft und an seinen Haaren gezogen, als wäre er eine Puppe, die darauf geprüft werden musste, zu welchem Spiel sie taugte. Dann hatte man ihn unsanft in den Kerker geworfen.
    Er hatte gedacht, dass nun alles vorüber wäre, dass man ihn hier verrotten lassen würde. Bittere Wut und Verzweiflung waren über ihn gekommen. Doch zu seiner Überraschung waren schon bald zwei Wachen erschienen, die ihn grob an den Armen packten und fortzerrten. Vor ihnen her musste er auf den Turm steigen, wo ihn ein halbes Dutzend schwer bewaffneter Soldaten erwartete. Als er sich umblickte, stieß er einen Schrei aus. Nur wenige Schritte von ihm entfernt, neben einem hölzernen Geländer, das vor einem Loch in der Mauer angebracht worden war, stand eine Magd, die Gertrud auf dem Arm hielt. Seine Tochter schlief und schien unversehrt zu sein. Er wollte losrennen, sie in die Arme schließen, doch die Wachen hielten ihn mit eisernen Fäusten zurück.
    Dann war ein Ruf über den Burghof gehallt, und kurz darauf war der Wagen durch das Tor gerollt.
    Wendel wandte den Blick von Gertrud ab und sah zum Treppenaufgang. Othilia hatte sich umgezogen, sie sah aus, als würde sie zu ihrer Krönung schreiten. Hinter ihr erschienen von Säckingen – und Melisande. Wendel sah, wie ihre Augen sich weiteten, als sie erst ihn und dann Gertrud erblickte.
    Othilia trat neben die Magd und bedeutete von Säckingen, sich zu ihm zu gesellen. Zwei Wachen platzierten sich neben Melisande. Othilia räusperte sich. »Verehrte Melisande Wilhelmis, Tochter des Konrad Wilhelmis.« Sie breitete die Arme aus. »Dies ist der Moment, auf den wir beide so sehnsüchtig gewartet haben. Der Moment, in dem ich dir zurückzahlen werde, was ich dir schuldig bin. Du hast mir den Gemahl genommen, hast ihn hinterrücks gemeuchelt. Du hast dafür gesorgt, dass ich mit einem Haufen schlecht erzogener Raufbolde in diesen kalten Mauern ausharren muss, statt unter den vornehmsten Familien Italiens zu verkehren und die Freuden des Lebens zu genießen. Und du hast dafür gesorgt, dass meine Sicherheit vom Wohlergehen meines kleinen Sohnes abhängt, dass ich nur durch ihn weiterhin Herrin der Adlerburg bin. Heute wirst du erfahren, dass ich eine sehr pflichtgetreue Schuldnerin bin. Ich zahle dir alles, was du mir angetan hast, dreifach zurück.« Sie lächelte dünn. »Nun gut. Du bist ja bereits mit den Regeln unseres kleinen Spiels vertraut, ich werde sie dennoch kurz wiederholen.« Sie winkte einem der Männer, der daraufhin ein Schwert vor Melisande auf den Boden legte, ein Schwert mit einer abgerundeten Spitze.
    »Dies ist ein Richtschwert, meine Liebe«, fuhr Othilia fort. »Vielleicht hast du ja schon einmal eins aus der Nähe gesehen, bei deinem Busenfreund Melchior?« Sie wartete.
    Wendel zuckte zusammen. Othilia wusste viel, doch offenbar nicht alles. Sie hatte keine Ahnung, dass Melisande ein solches Schwert nicht nur schon gesehen, sondern auch unzählige Male in den Händen gehalten hatte, dass sie geschickt wie niemand sonst damit umzugehen wusste. Sie hatte keine Ahnung, dass Melisande selbst Melchior gewesen war. Er schaute zu seiner Frau. Sie erwiderte seinen Blick und nickte kaum merklich.
    »Gut«, sagte Othilia, die das Nicken anscheinend missverstanden hatte. »Dann brauche ich dir ja nicht zu erklären, dass du damit zwar töten, aber nicht kämpfen kannst.« Sie räusperte sich. »Wie ich dir bereits in meinem Brief mitteilte, lasse ich dir in meiner Gnade die Wahl – zwischen dem Leben deiner Tochter und dem Leben deines Gemahls. Tötest du deinen Gemahl, so lasse ich dein Balg leben. Tötest du ihn nicht …«
    Sie sprach nicht weiter, sondern ließ sich von der Magd das Kind reichen. Gertrud erwachte und fing an zu weinen.
    »Gertrud!«, rief Melisande. »Gertrud, alles wird gut. Mama und Papa sind hier!«
    Tatsächlich verstummte Gertrud, lächelte Melisande an und streckte die Ärmchen nach ihr aus. Wendels Herz machte einen Satz. Aber Othilia lachte nur kalt und setzte Gertrud auf die Mauer.
    »Nein!« Melisande schrie, Wendel stöhnte auf und versuchte, sich loszureißen. Eine der Wachen schlug ihm mit der Faust in den Magen, die andere riss ihn an den Haaren zurück.
    Othilia hatte sich nicht einmal umgedreht. In aller Ruhe zog sie einen Gürtel hervor, schlang ihn um Gertruds

Weitere Kostenlose Bücher