Die Tränen der Henkerin
Gegenteil verkehrt haben. »Es freut mich, das zu hören«, sagte sie und unterdrückte den Drang, Erhard um den Hals zu fallen. »Auch wenn ich nie daran gezweifelt habe.«
Erhard senkte den Blick, seine Hand drückte Katherinas fester, dann schaute er auf und lächelte. »Du hast Recht. Ich war …«
Katherina legte ihm einen Finger auf die Lippen. Vor den Mägden sollte er sich nicht kasteien.
Erhard räusperte sich, küsste Katherinas Finger. »Und was sind deine guten Nachrichten, Weib?«
»Allzu viel Gutes habe ich leider nicht zu berichten. Aber es gibt Hoffnung.« Rasch erzählte Katherina ihm, was vorgefallen war: dass Melisande in den Esslinger Kerker geworfen worden war, weil sie angeblich das Leben eines Ratsherrn bedroht hatte; dass Katherina dem Rat die wahre Herkunft der Gefangenen mitgeteilt hatte, in der Hoffnung, das möge ihn dazu bringen, mit Bedacht zu handeln; dass inzwischen ein Schreiben von Melisande in Rottweil eingetroffen war, das Beweise für verbrecherische Umtriebe ebendieses Esslinger Ratsherrn enthielt, und dass eine Gesandtschaft des Rottweiler Rates bereits auf dem Weg nach Esslingen war.
»Herr im Himmel!« Erhard schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann sah er Katherina an. »Und keine Nachricht von Wendel?«
Katherina schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. Sicherlich ist er längst in Esslingen und tut alles, was in seiner Macht steht, um seiner Gemahlin beizustehen.«
»Und von Gertrud?«
Katherina senkte den Kopf. »Nichts.«
Wieder schmetterte Erhard die Faust auf den Tisch. »Verflucht! Das Kind kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! Wer ist ihr Entführer? Was wissen wir über ihn?«
»Nur, dass Melisande annahm, er sei aus Esslingen.«
»Dieser verbrecherische Ratsherr?«, rief Erhard.
»Ich weiß es nicht.« Katherina sah ihren Mann besorgt an. Wie sie ihn kannte, würde es nicht mehr lange dauern, bis er seine Wut nicht mehr im Zaum halten konnte.
Da sprang er auch schon auf. »Ich werde unverzüglich nach Esslingen aufbrechen!«
»Aber der Rottweiler Rat kümmert sich bereits um die Sache, Erhard!«, rief Katherina. Sie wollte keinesfalls, dass ihr Gatte sich einmischte. Mit seiner aufbrausenden Art richtete er nur Schaden an.
»Gertrud ist meine Enkeltochter!«
»Meister Füger, bitte entschuldigt«, mischte Irma sich ein. »Mein Gemahl ist unter den Gesandten. Ihr könnt Euch sicher sein, dass er handeln wird, als ginge es um sein eigenes Kind. Er ist ein aufrechter, anständiger Mann, und er weiß, wie lieb mir Melissa … Melisande und ihre Tochter sind.«
Erhard ließ sich nicht beruhigen. »Und wenn dieser Verbrecher das Kind verschwinden lässt, um seine Schuld zu vertuschen?«
»Dann kannst du es nicht verhindern.« Katherina griff nach Erhards Arm.
Er schüttelte sie ab. »Glaubst du, ich werde tatenlos hier herumsitzen und Däumchen drehen, während meine Familie in Lebensgefahr schwebt?«
Katherina stand auf. »Du musst nicht tatenlos zusehen, mein lieber Gemahl. Es gibt jede Menge zu tun. Heute Nachmittag kommt eine Fuhre Wein aus Burgund, die dein Sohn bestellt hat. Wie wäre es, wenn du die Geschäfte übernimmst, bis er zurückkehrt? Damit wärst du ihm eine echte Hilfe.«
Erhard sah sie an. Sein Atem ging schwer. »Ich weiß nicht, ob ich das fertigbringe«, sagte er ein wenig ruhiger. »Aber ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.« Er hielt Berbelin den Becher hin. »Mehr Wein! Und sieh zu, dass der Becher voll ist!«
Katherina nickte Berbelin zu und lächelte verschmitzt.
***
Kurz nach Mittag tauchte die Adlerburg vor ihnen auf. Eberhard von Säckingen straffte die Schultern und trieb die Pferde an. Endlich würde er erfahren, was genau Othilia im Schilde führte und welche Rolle er in diesem Spiel übernehmen sollte. Was auch immer es war, er würde dafür sorgen, dass seine Belohnung reichhaltig ausfiel. Immerhin hatte er das Unmögliche vollbracht. Und er war auf die Burg zurückgekehrt. Trotz aller Zweifel. Mehr als einmal hatte er unterwegs mit dem Gedanken gespielt, die Pferde in eine andere Richtung zu lenken. Nicht wegen des albernen Weinkrämers, der vielleicht gar nicht mehr lebte. Wegen Othilia. Zu gut wusste er, wie grausam sie sein konnte. Wenn er nicht sicher gewesen wäre, dass Othilias Plan voraussetzte, dass Melisande überlebte, hätte er keinesfalls den Weg zur Adlerburg eingeschlagen. Doch Othilia ging es nicht darum, ihre Widersacherin zu töten. Sie wollte sie leiden sehen, was ihm die
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