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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Richtige! Welche von uns probiert denn drei verschiedene Kleider an, bevor sie vor die Tür tritt?« Melisande knuffte Irma in die Seite, beide kicherten und machten sie auf den Weg zum Markt, der nur einen Steinwurf vom Fügerschen Haus entfernt war.
    Irma und Melisande waren befreundet, seit Wendel und sie nach Rottweil gezogen waren. Beide Frauen waren frisch verheiratet gewesen, und wenige Wochen nachdem Melisande Gertrud zur Welt gebracht hatte, war Irma Mutter eines Sohnes geworden. Irmas Gatte Lorentz war Goldschmiedemeister und saß gemeinsam mit seinem Vater im Rat der Stadt. Er war sehr wohlhabend und verfügte über viel Einfluss, sodass er Wendel beim Aufbau seines Weinhandels hatte helfen können, indem er ihm gute Knechte beschafft und dafür gesorgt hatte, dass der neue Bürger rasch die nötigen Dokumente bekam. Die beiden Männer trafen sich nur gelegentlich, da sie verschiedenen Zünften angehörten, die beiden Frauen jedoch sahen sich so oft, wie es ihre Pflichten im Haushalt erlaubten.
    »Kennst du Linnhart, den Sohn des Ratsherrn Thomas von Kastelruth?« Irma grinste schelmisch.
    Melisande nickte. Sie war Linnhart nur ein einziges Mal begegnet, doch seine Erwähnung löste eine ungeliebte Erinnerung aus: Linnhart sah jemandem ähnlich, an den sie nie wieder hatte denken wollen.
    »Man munkelt, sein Vater wolle ihn nach Nowgorod schicken, damit er im dortigen Hansekontor hart zu arbeiten lernt und sein Mütchen kühlt«, wisperte Irma hinter vorgehaltener Hand. »Ich glaube, sein Vater hat einfach keine Lust mehr, ständig Kranzgeld zu zahlen.«
    »Er hat ehrenwerten Jungfrauen Schande gebracht?« Melisande fühlte Zorn aufsteigen. Und Entsetzen. Linnhart glich dem Mann ihrer Erinnerung nicht nur äußerlich, wie es schien. Offensichtlich gab es überall junge Männer, deren noble Erscheinung über ihr wahres Wesen hinwegtäuschte.
    »Dazu gehören ja immer noch zwei, oder? Außerdem …« Irma blieb stehen und flüsterte Melisande ins Ohr: »Was glaubst du, wie viele vorgebliche Jungfrauen in der Hochzeitsnacht ein Fläschchen Hühnerblut bei sich tragen?«
    Melisande war einen Augenblick lang sprachlos. Wie konnte man nur so betrügen? Sie wollte Irma ihre Empörung wissen lassen, schluckte ihre Bemerkung jedoch hinunter, als ihr einfiel, dass sie selbst die größte Betrügerin von allen war. Sie hatte nicht das Recht, über andere zu urteilen. Dass sie bei der Hochzeit noch unschuldig gewesen war, war so ziemlich das Einzige, worin sie Wendel nicht belogen hatte. Sie sah ihre Freundin an. »Irma, was du alles weißt! Kennst du denn Frauen, die sich mit Hühnerblut reingewaschen haben?«
    »Aber nicht weitersagen!«
    Melisande schüttelte den Kopf und hob die Hand zum Schwur. »Bei meiner Ehre, ich werde schweigen wie ein Grab.«
    »Linnharts eigene Mutter!«
    »Nein! Irma, du willst mich auf den Arm nehmen.«
    »Es ist die Wahrheit. Meine Mutter hat ihr damals geholfen, das Blut zu beschaffen, die beiden waren Freundinnen. Aber still jetzt! Schau, da kommen Ritter. Sehen sie nicht prächtig aus?« Irmas Augen leuchteten auf. »So einen hätte ich heiraten sollen, dann würde ich jetzt als Gräfin auf einer Burg wohnen. Was für ein herrliches Leben muss das sein! Immer nur Festlichkeiten, Musik, Tanz und Tafeln, die sich unter den köstlichsten Speisen biegen.«
    »Ich weiß nicht.« Melisande musterte die Reiter, die vom Waldtor her auf sie zukamen. Argwöhnisch betrachtete sie die Rüstungen, die Pferde und die Bewaffnung. Die Visiere waren geschlossen und verbargen die Gesichter.
    Die Menschen traten eilig zur Seite, um Platz zu machen, doch nur wenige Schritte von Melisande und Irma entfernt blieben die Ritter stehen. Als sie die Visiere öffneten, ging Melisande in die Knie.
    »Was ist denn los, Mel?« Irma zog Melisande an der Schulter. »Komm hoch, und schau dir diese prächtigen Mannsbilder an! So etwas Schneidiges bekommst du nicht alle Tage zu sehen.«
    »Einen Augenblick, Irma, ich …« Melisande unterdrückte mit Mühe ein Zittern. Einem der Männer war sie schon einmal begegnet – vor mehr als zwei Jahren, auf dem Fronhof bei Hülben, als sie noch Mechthild, die Magd, und auf der Flucht gewesen war. Was wollte der Kerl hier? War von Säckingen etwa auch in der Nähe? Melisande schaute vorsichtig auf. Wo dieser Schurke war, da konnte sein Herr nicht weit sein. Eberhard von Säckingen und seine Männer hatten den Hof damals verwüstet, hatten einen Großteil der Wintervorräte

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