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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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sie in nicht allzu großer Entfernung eine Höhle bewohnen musste.
    Schon bald hatten die Hunde die Fährte aufgenommen, und nur eine Viertelmeile von der Lichtung entfernt stellten die Jäger das verletzte Tier und töteten es.
    Ulrich betrachtete die mächtige Bärin, die ihn fast umgebracht hätte. Sie hatte ihn erneut gelehrt, die Gefahren der Jagd nicht zu unterschätzen. »Wo ist das Junge?«, fragte er den Hauptmann.
    Der zeigte auf einen Höhleneingang. »Vermutlich da drin.«
    Ulrich griff sich ans Bein; der pochende Schmerz erinnerte ihn an seine Begegnung mit dem Tod. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die Höhle. Ohne die Mutter war auch der kleine Bär zum Tode verurteilt. Nein, das sollte nicht sein. Der Kleine sollte leben – er würde ihm von Nutzen sein. Er würde das Bärenjunge dem Kaiser zum Geschenk machen. Ja, das war eine gute Idee. Ulrich richtete sich auf. »Holt es da raus, ohne es zu verletzen«, befahl er.
    »Sehr wohl, Herr!« Vier Treiber nahmen ein Netz, krochen in die Höhle, und schon ging ein Fauchen und Schreien los, als kämpften die Heerscharen der Hölle gegen die Engel des Himmels. Dann verstummte das Quieken plötzlich, und einen Augenblick später tauchte erst einer der Männer am Eingang der Höhle auf, dann der nächste. Sie zerrten mit Leibeskräften an dem Netz, bis sie schließlich gemeinsam mit einem weiteren Mann das Junge herausgezogen hatten.
    Zufrieden musterte Ulrich seine Männer; es war ihnen gelungen, dem Bären das Maul zuzubinden. Deswegen war er so unvermittelt verstummt. Er wendete sein Pferd, um aufzubrechen, doch ein dumpfer Schrei aus der Höhle ließ ihn innehalten. Er wandte den Kopf. Noch ein Bär? Wohl kaum, dann hätte der Schrei anders geklungen.
    Der vierte Treiber stürzte aus der Höhle und hielt etwas Rundes, Helles ins Licht: einen menschlichen Schädel.
    Ulrich zog die Augenbrauen hoch. Also hatten sie tatsächlich einen Menschenfresser erlegt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken.
    Der Treiber senkte den Blick. »Herr, es ist ein ganzes Skelett. Und es muss sich um einen hochgestellten Herrn gehandelt haben.« Er streckte die freie Hand aus. In der Handfläche lag etwas Glitzerndes. »Diesen Siegelring muss er getragen haben.«
    Ulrich nahm den Ring und betrachtete ihn. »Herr im Himmel, ist das möglich?« Er bekreuzigte sich. »Bergt die sterblichen Überreste dieses Mannes! Und geht sorgsam damit um. Sobald Ihr fertig seid, machen wir uns auf den Rückweg. Die Jagd ist beendet.«
***
    »Melissa, was trödelst du herum? Beeil dich, sonst sind die besten Sachen ausverkauft!«, rief Irma die Treppe herauf.
    »Ich komme ja schon«, antwortete Melisande. »Ich muss nur noch die Haube anlegen.« Sie schob eine widerspenstige Strähne hinter das Ohr. Ob Gertrud ebenso rote Haare bekommen würde? Noch waren sie nicht mehr als ein heller Flaum, aber Melisandes Mutter hatte immer gesagt, dass sich auch bei ihr erst im Alter von drei Jahren das leuchtende Rot herausgebildet hatte.
    Mit geübtem Griff setzte Melisande die Haube auf und zog sie zurecht. Wie schön es war, gemeinsam mit ihrer Freundin den Markt zu besuchen! Selmtraud würde sich um Gertrud kümmern, sodass sie sich nicht um sie sorgen musste. Wendel war mit seiner Mutter unterwegs, der wiederum Antonius nicht von der Seite wich. Katherina war zwar erst seit einem Tag zu Besuch, doch Wendel war bereits anzusehen, wie gut ihm ihre Gesellschaft tat. Mit Freuden hätte Melisande ihre Schwiegermutter in ihr Haus aufgenommen – sie war eine anständige, warmherzige Frau, die man gut um sich haben konnte. Und in vielen Dingen glich sie Melisande. Sie beide würden niemals etwas gegen ihre Überzeugung tun, nur weil ihr Gatte es anordnete. Und sie beide hüteten so manches Geheimnis. Katherinas Geheimnisse waren allerdings weitaus harmloser als Melisandes. Wenn Erhard Füger herausfand, dass Katherina ihren Sohn und ihre Enkeltochter heimlich besuchte, würde er vor Wut aus der Haut fahren, sich aber bald wieder beruhigen. Wenn Wendel etwas über Melisandes Vergangenheit herausfand, wäre das jedoch das Ende ihrer Ehe. Ihr aller Lebensglück hing davon ab, dass sie die Wahrheit vor ihm verbarg.
    Melisande griff nach dem Korb, versicherte sich, dass die Geldkatze unter ihrem Kleid gut versteckt war, und hastete die Treppe hinunter in die Küche, wo Irma ungeduldig hin und her lief.
    »Na endlich, deinetwegen heißt es allenthalben, dass die Weiber nie fertig werden!«
    »Das sagt die

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