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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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um nicht loszulachen. Was für ein herrliches Spiel!
    »Siebzehn und einen halben.« Irma zeigte mit dem Zeigefinger auf den Händler. »Und keinen Pfennig mehr.«
    »Achtzehn. Gut bemessen. Ihr werdet es nicht bereuen, denn dieser Stoff wird Euch ein Leben lang begleiten, und ich hoffe, es wird ein langes Leben sein, das mit Glück und vielen Kindern gesegnet ist.«
    Irma nickte. »Achtzehn Groschen die Doppelelle. Vier davon brauche ich.«
    Unter Irmas kritischem Blick nahm der Händler Maß und hielt Wort; schließlich waren es fast fünf Ellen.
    »Frauen wir Ihr sind mein Ruin«, seufzte er, als er das Geld entgegennahm und eifrig nachzählte.
    Melisande lächelte. Der Mann hatte trotz allem ein gutes Geschäft gemacht und würde sicherlich nicht zugrunde gehen.
    Nachdem Irma ihm die Adresse genannt hatte, an die er den Stoff liefern sollte, zogen sie weiter. »Lorentz wird begeistert sein«, schwärmte Melisandes Freundin. »Zum Jahrestreffen der Goldschmiedezunft werde ich das neue Kleid tragen.«
    »Du wirst die Schönste dort sein.«
    Irma wurde rot. Ihre Bescheidenheit war ein Grund, warum Melisande sie so mochte. Sie war ohne Zweifel eine Schönheit, aber Eitelkeit war ihr fremd; sie war mehr als wohlhabend und genoss es, vergaß aber nie, den Hungernden reichlich zu geben.
    Arm in Arm schlenderten sie weiter an der Brotlaube und an der Metzig vorbei, wo frisch geschlachtete Hühner hingen und die Innereien von Rindern und Schweinen auslagen. Melisande kaufte Salz, Honig, Lauch, Zwiebeln und Räucherfleisch, sie plauderten, bestaunten einen Magier, der Münzen verschwinden ließ und sie aus einer Körperöffnung wieder hervorzauberte.
    Gerade als sie nach Hause gehen wollten, stieß der Ausrufer in sein Horn und zog damit die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. »Kommt herbei, Ihr lieben Leut, kommt herbei und lauschet!« Seine Stimme trug über den ganzen Markt, immer mehr Volk drängte sich um ihn, um nur ja nicht zu verpassen, was er zu sagen hatte. Es wurde mucksmäuschenstill.
    Noch einmal blies der Ausrufer in sein Horn, dann rollte er ein Dokument aus, räusperte sich und begann: »Volk von Rottweil, höret, was der Rat beschlossen hat. Am Morgen des dritten Tages vor Mariae Himmelfahrt im Jahre des Herrn 1332, sobald die Sonne über der Kirche steht, soll Gericht gehalten werden über den Wilhelm Götzer, der beschuldigt wird, seinen Bruder Franz Götzer im Streite erschlagen zu haben ohne Not, sich selbst verteidigen zu müssen. Das Hohe Gericht wird zusammentreten und im Namen Gottes, des Kaisers und des Grafen Rudolf von Hohenberg Recht sprechen. Wer immer kommen mag, um Zeuge zu sein, der komme. Allein das Tragen von Waffen ist untersagt, ebenso das unmäßige Trinken von Wein und anderen geistigen Getränken. Auch offenes Feuer ist nicht erlaubt. Vom Tragen greller Farben ist Abstand zu nehmen. Wer dagegen verstößt, wird bestraft mit einem Bußgeld von zwanzig Hellern.«
    Kaum hatte der Ausrufer sein Dokument zusammengerollt, wich die Stille aufgeregtem Gemurmel.
    Irma klatschte in die Hände. »Das ist nächste Woche. Das müssen wir uns ansehen. Ich hole dich ab, hast du Zeit? Wird Wendel mitkommen?«
    Melisande schauderte. »Nein, ich kann nicht, das geht nicht.«
    »Ach, komm schon! Wann wird denn schon mal einer hingerichtet – hier in Rottweil? Ich habe das noch nie gesehen. Beim letzten Mal war ich krank und davor ein kleines Kind. Nichts gesehen habe ich außer den Rücken der Leute vor mir. Das wird bestimmt ein gruseliges Spektakel. Hast du etwa Angst? Oder kannst du kein Blut sehen?« Irma lachte perlend auf. »Wie viele Hühner hast du schon geschlachtet? Das ist doch auch nichts anderes.«
    Melisande fror plötzlich. »Ich muss heim, jetzt sofort«, murmelte sie und wandte sich ab.
    Irma hielt sie am Arm fest und starrte sie mit großen Augen an. »Was ist denn los, Mel? Habe ich etwas Falsches gesagt? Wenn du tatsächlich kein Blut sehen kannst, brauchst du dich nicht dafür zu schämen.«
    Melisande beachtete sie gar nicht. Der Geruch von Blut, Schweiß und verbranntem Fleisch stieg ihr in die Nase, ihr wurde schwindelig. Abrupt riss sie sich los und drängte sich durch die Menschenmenge. Ohne noch einmal stehen zu bleiben, rannte sie nach Hause, stürzte in ihre Kammer, warf sich auf den Boden und weinte.
***
    Erhard Füger traute seinen Ohren nicht. Da stand ein hoher Herr aus Augsburg vor seiner Tür, ein reicher Kaufmann und Ratsherr, und schwärmte von seinem Sohn. Was

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