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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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vernichtet und zu guter Letzt ein wertvolles Fuchsfell gestohlen. Während die Soldaten gewütet hatten, hatte ihr Herr Melisande nicht aus den Augen gelassen. Er hatte sie angestarrt, als hätte sie ein drittes Auge auf der Stirn. Drei Monate später hatte eine wütende Meute den Fronhof niedergebrannt. Im letzten Augenblick war Melisande die Flucht gelungen. Später hatte sie erfahren, dass von Säckingen die Feuerteufel gestellt und dem Gericht übergeben hatte und dass er nach dem Feuer noch wochenlang nach der Magd Mechthild hatte suchen lassen. Sie wusste nicht, warum er das getan hatte, doch es machte ihr Angst.
    Melisande seufzte. Die Vergangenheit, die sie für immer hatte hinter sich lassen wollen, schien überall zu lauern. Am Montag der Augsburger, jetzt einer der Schergen, der in den Diensten dieses furchteinflößenden Ritters stand. Würde sie denn niemals Ruhe finden?
    Wieder stieß Irma sie an. »Was ist denn los, Mel? Jetzt sind sie weg. Du hast sie verpasst.«
    Gott sei Dank, dachte Melisande und erhob sich. »Ich hatte einen Stein im Schuh. Er hat furchtbar gedrückt. Wie schade, dass ich die Ritter nicht richtig gesehen habe. Wo sind sie denn hin?«
    »Wieder zum Waldtor hinaus. Keine Ahnung, was sie hier wollten.«
    Melisande atmete auf. Die Gefahr war vorüber, und wieder hatte der Herrgott seine schützende Hand über sie gehalten. Sie durfte nicht weiter darüber nachdenken, durfte sich nicht verrückt machen. »Komm, Irma, dann lass uns jetzt schnell zum Markt gehen!« Ein wenig zu ungestüm zog Melisande Irma mit sich. »Ich brenne darauf, mir etwas Schönes zu kaufen. Sieh mal dort, was für ein herrlicher Stoff!«
    Sie hatten den Stand eines Tuchhändlers erreicht, der englische Wollstoffe feilbot.
    Der Händler verbeugte sich tief. »Edle Damen.« Er nahm einen Ballen hellblauen Flanells. »Dieses Meisterwerk an Webkunst stammt aus dem fernen England. Greift zu, bald werden die Quellen versiegen, bald wird Eduard III. uns verbieten, in England diese wundervollen Stoffe für Euch zu erstehen. Nutzt diese einmalige Gelegenheit, bevor die Vorräte zur Neige gehen! Alle Frauen in Rottweil werden vor Neid erblassen, und die Männer werden Euch zu Füßen liegen.«
    »Ein Traum, in der Tat.« Melisande vergrub ihre Hände in dem angenehm weichen Gewebe und seufzte.
    »Und was kostet dieses Wunder?«, fragte Irma und spitzte die Lippen.
    »Nur einundzwanzig Groschen je Doppelelle, edle Herrin.« Erneut verneigte sich der Händler.
    »Seid Ihr noch bei Trost? Ihr könnt wohl nicht rechnen? Ein Surcot aus diesem Stoff käme auf den Jahreslohn eines Steinmetzgesellen. Bin ich eine Königin, dass ich mir das leisten kann? Einundzwanzig Groschen! Mehr als ein Pfund Silber! Träumt weiter und näht Euch selbst ein Gewand daraus.« Entrüstet stemmte Irma die Hände in die Hüften.
    Melisande tat es Irma gleich. »Ich kann nur hoffen, dass der englische König sein Verbot bald verfügen wird, damit wir vor solchem Wucher sicher sind.«
    Unvermittelt schluchzte Irma auf. »Wie herrlich würde das Blau zu meinen Augen aussehen! Aber ich werde wohl weiter mein altes Kleid tragen müssen. Mein Gatte schickt mich ins Kloster, wenn ich sein Geld derart verschwende. Das könnte ich niemals ertragen!« Sie wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht, um die vermeintlichen Tränen zu trocknen.
    Der Tuchhändler hob entsetzt die Hände. »Gott bewahre, gute Frau! Das könnte ich keinesfalls verantworten. Aber Ihr müsst bedenken, dass ich bei diesem Preis kaum einen Gewinn mache. Die Engländer sind regelrechte Halsabschneider, und auf der weiten Reise hierher muss ich an jeder Straße Zoll zahlen. Was soll ich meiner Frau erzählen, die unser siebtes Kind erwartet? Dass wir hungern müssen, weil ich meine Ware mit Verlust verkauft habe? Habt Erbarmen mit einem armen Tuchhändler, der bald acht Mäuler zu stopfen hat.«
    Irma trat einen Schritt vor. »Wenn Ihr so arm seid, solltet Ihr ein anderes Handwerk ausüben. Als Händler seid Ihr offenkundig ein Versager. Ich biete Euch fünfzehn Groschen, weil ich wohl verrückt geworden sein muss vor Mitleid mit deinen Kindern und deinem Weib – und wenn Ihr das Tuch großzügig abmesst.«
    »Dann kann ich mich gleich in den Neckar stürzen, mein Ruin wäre besiegelt, und meine Familie müsste in Schimpf und Schande betteln gehen.« Er holte Luft. »Zwanzig.«
    »Sechzehn!«, riefen Irma und Melisande gleichzeitig.
    »Neunzehn.«
    Melisande biss sich auf die Zunge,

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