Die Tränen der Justitia (German Edition)
einige kennen, denen man normalerweise nie begegnet wäre. Mörder, Diebe, Zuhälter, Vergewaltiger und so weiter, die Palette ist gross. Man unterhält sich und in den langen Jahren entstehen Freundschaften oder sagen wir Seilschaften. Das meiste verläuft sich dann im Sand, sobald man draussen ist. Ganz im Sinne, die anderen sind Abschaum, nur du selbst nicht. Es gibt aber auch den einen oder anderen, den ich mir warm halten will. Man weiss ja nie.»
«Soso. Und einer von diesen Vögelchen flog zu Ihnen, setzte sich auf Ihre Schulter und zwitscherte Ihnen ins Ohr, dass Borer demnächst das Zeitliche segnet.»
«Sie hätten Schriftstellerin werden sollen, Frau Kupfer. Aber ich kann Ihnen schon ein wenig auf die Sprünge helfen, wenn Sie es wünschen.»
«Dann tun Sie das.»
«Borer soll es verdammt schlecht gehen. Seit Tagen.»
«Etwas genauer, bitte.»
«Mein Informant hat Borer gesehen und mit ihm einige Worte gewechselt. Der Mann sei von der Rolle, kaum ansprechbar und lalle dummes Zeug. Er sei jedoch nicht krank.»
«Sondern?»
«Er hat Angst. Grausame Angst. Dann höre ich im Radio, dass ein Kind entführt wurde. Ein Zufall? Ist das Kind tot, Frau Kupfer?»
«Keine Ahnung. Da müssen Sie diejenigen fragen, die den Fall untersuchen.»
«Nice try! Aber nicht gut genug. Die Polizei stellt ganz Basel auf den Kopf, um das Kind zu finden. Jeden Abend gibt es Razzien in Bars und Nachtclubs. Ich bin gestern selbst in eine geraten. Und alles, weil irgendein Kind entführt wurde? Hören Sie doch auf. Hinzu kommt Ihr Besuch. Sie versuchen krampfhaft herauszufinden, ob mein Hass gegen Borer verraucht ist. Ich kann Ihnen versichern, das ist er nicht. Für Borer wird es schlimmer als der Tod werden.»
«Und wie sieht sein Schicksal aus?»
«Dieses Rätsel müssen sie selbst lösen. Aber ich gebe Ihnen noch einen Tipp: Ich muss nur abwarten und zusehen, wie er sich selbst erledigt. Das gefällt mir, sehr sogar. Möchten Sie noch einen Kaffee?»
«Nein, danke. Der würde mir wahrscheinlich hochkommen.»
Franz Heller grinste hämisch.
«Richten Sie Jakob Borer einen lieben Gruss von mir aus. Sagen Sie ihm, dass ich sein kleines Geheimnis kenne und dass es für ihn kein Entrinnen gibt. Was er auch immer unternimmt, er verliert das Spiel. Denn die Zeit der Abrechnung ist gekommen.»
Sie setzten sich an der Rheinpromenade auf eine Bank.
«Noch so ein Spinner, beinahe noch verrückter als dieser Kaltenbach. Sind alle Knackis so, wenn sie entlassen werden?»
«Zum Glück nicht. Ich habe kein gutes Gefühl. Heller blufft nicht.»
«Blödsinn! Der drischt irgendwelche dämlichen Phrasen und du fällst drauf rein. Schöner Kommissär!»
«Du zweifelst doch selbst daran, dass Borer mit offenen Karten spielt. Langsam glaube ich, er weiss, wer Lena entführt hat, und vermutlich haben ihn die Entführer bereits kontaktiert.»
«Du siehst Gespenster! Was fordern denn die Entführer deiner Meinung nach?»
«Das weiss ich nicht. Noch nicht. Vielleicht versuchen sie eine frühzeitige Entlassung eines Häftlings zu erwirken.»
«Das kann Borer gar nicht. Du vergisst, dass er nicht zuoberst auf der Hierarchieleiter steht.»
«Oder er soll sich outen, sich zu irgendeinem Fehler aus der Vergangenheit bekennen.»
«Jetzt drehst du aber vollkommen durch, Francesco. Unser Staatsanwalt ist doch die Seriosität in Person. Als Junge hat er höchstens im Tante-Emma-Laden um die Ecke einen Apfel mitgehen lassen.»
«Ja, das stimmt. Doch wenn es um seine Karriere geht, seine politische wohl verstanden, da hat er mich schon mehrmals um Hilfe gebeten.»
«Das tun andere auch. Seilschaften aufbauen, Beziehungsnetze nutzen – seit wann sind das Fehler? Du bist auf dem Holzweg, Francesco. Aber Heller hat immerhin sein Ziel erreicht, wir sind verunsichert. Ich frage mich, woher er seine Informationen bezieht.»
«Von jemandem in Borers Nähe. Sei es aus dem privaten oder dem beruflichen Umfeld.»
«Glaubst du wirklich, dass jemand von uns mit Heller gut Freund ist?»
«Ich denke, dass Heller im Gefängnis entsprechende Kontakte knüpfen konnte und bei Geld, und Geld hat er, ist schon manch einer schwach geworden.»
«Das ist wahr. Wozu braucht Kaltenbach eigentlich zehn Riesen?»
«Um seine Handlanger zu bezahlen?»
«Bingo!»
«Und wo versteckt er Lena?»
«Eine gute Frage, die wohl nur er beantworten kann.»
Der schräge Vogel war ausgeflogen. Seine Schwester wusste nicht, wohin. Am ehesten sei er wohl ins Alte Warteck zum
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