Die Tränen der Justitia (German Edition)
Ferrari einen Schluck Kaffee. Schmeckt wirklich ausgezeichnet, aber die Croissants lasse ich liegen.
«Bitte, die Gipfeli müssen Sie versuchen. Die sind vom Bachmann am Bahnhof, nicht ganz günstig, aber den Preis wert. Das sind so die Kleinigkeiten, die mir im Gefängnis gefehlt haben. Nun, ich will mich nicht beklagen. Das Essen war meistens gut.»
«Sie haben nur Kaffee und Croissants vermisst?»
«Bei Weitem nicht, Frau Kupfer», lachte Heller und strich Corinne durchs Haar. «Es gibt schon noch andere Dinge, die einem im Knast fehlen.»
«Das kann ich mir lebhaft vorstellen.»
«Und die geniesse ich jetzt in vollen Zügen.»
«Sie können es sich anscheinend leisten.»
«Ich bin ein vermögender … ein reicher Mann. Das war ich schon vor … vor dem Missgeschick. Und im Gefängnis lebte ich sparsam», erneut ertönte sein donnerndes Lachen. «So vermehrte sich mein Vermögen noch weiter. Dass ich meinen Beruf nicht mehr ausüben darf, stört mich zwar, nur lässt sich das nicht ändern. Übrigens ist der Vater Ihrer Frau daran nicht ganz unschuldig gewesen, Herr Ferrari.»
«Wofür ihm die Menschheit zu Dank verpflichtet ist.»
«Eine Frage der Perspektive. Doch nun ist diese Episode endgültig passé und ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Frei ohne Sorgen, nicht wahr, mein Schatz?»
Heller küsste seine neue Flamme.
«Wir möchten uns mit Ihnen über einige Ihrer Aussagen vor Gericht unterhalten», nahm Nadine den Gesprächsfaden auf.
«Das ist lange her. Aber bitte, vielleicht kann ich mich noch daran erinnern.»
«Bestimmt. Da wäre zum Beispiel Ihre Drohung gegen den Staatsanwalt.»
«Borer! Ein kleiner Spiesser, der gern ein Mann von Welt wäre. Bloss, ihm fehlt die Klasse. Ich muss Sie korrigieren, Frau Kupfer. Ich habe Borer nicht gedroht.»
«Sondern?»
«Ich drohte dem Richter, dem Staatsanwalt, den Zeugen, sozusagen jedem im Gerichtssaal. Aber ich gebe zu, in erster Linie war ich auf meinen Schulfreund Jakob sauer, stinksauer sogar. Tritt gegen mich an, nur um seine Wahnsinnskarriere voranzutreiben! Es ist jedoch äusserst interessant, dass Sie mich auf den Staatsanwalt ansprechen. Anscheinend bin ich nicht sein einziger Feind.»
«Wie kommen Sie darauf?»
«Vor einer Woche kam so ein Spinner zu mir. Er wusste, dass ich mit Borer noch eine Rechnung zu begleichen habe.»
«Wie heisst der Mann?»
«Warten Sie … so wie der SS-Offizier … Kaltenbrunner.»
«Sie meinen Kaltenbach.»
«Kann sein. Ein Geier, bleich, mit eingefallenem Gesicht und einer Bibel in der Hand. Jeder zweite Satz war ein Bibelzitat.»
«Woher kennen Sie ihn?»
«Wir sassen anscheinend zur gleichen Zeit im Gefängnis.»
«Woher wusste er, dass Sie Borer hassen?»
«Ich machte nie ein Hehl daraus. So etwas spricht sich herum.»
«Was wollte er von Ihnen?»
«Geld. Wie war das gleich? … ‹Dreissig Silberlinge sollst du mir geben, nicht um Judas zu bezahlen, sondern die Söhne der Gerechtigkeit.› Spasseshalber fragte ich ihn, wen er mit dreissig Franken kaufen wolle. Die Silberlinge seien nur im übertragenen Sinn gemeint. In Wirklichkeit wollte er zehntausend Franken. Dafür würde er Borer und seine Familie auslöschen. Oder so ähnlich. Ich packte den Spinner am Kragen und warf ihn auf die Strasse.»
«Zehntausend Franken sind für Sie doch kein Betrag. Ihre Hände bleiben sauber und einer Ihrer schlimmsten Feinde wird ausgeschaltet. Wieso haben Sie diesen Deal ausgeschlagen?»
«Sie vergessen eines, Herr Kommissär: den Faktor Spass. Es macht nämlich keinen, wenn jemand anders die Arbeit verrichtet. Jetzt, wo ich wieder ein freier Mann bin, will ich aus dem Vollen schöpfen. Was glauben Sie, wie mich Borer und Richter Braun fürchten? Diese Angst wächst von Tag zu Tag, denn sie haben wissentlich einen Unschuldigen verurteilt. Nun ist der Verurteilte wieder auf freiem Fuss und sinnt womöglich auf Rache.»
«Sie meinen, überall, wo Borer und Braun etwas trinken oder essen, müssen sie damit rechnen, vergiftet zu werden?»
«Rein hypothetisch, ja. Da ich aber meine Frau nicht vergiftet habe, werde ich auch nichts gegen Borer und Braun unternehmen. Das ist übrigens auch gar nicht notwendig. Anscheinend ist Braun todkrank und Borer wirds auch nicht mehr lange machen.»
«Das wüsste ich aber.»
«Warten Sie es ab. Mir flüsterte ein kleines Vögelchen zu, dass sich euer Staatsanwalt auf dünnem Eis bewegt.»
«Gut geblufft, Herr Heller.»
«Kein Bluff, Frau Kupfer. Im Knast lernt man so
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