Die Tränen der Justitia (German Edition)
Frühschoppen. Aber auch dort hatte ihn niemand gesehen. Nadine und Ferrari liessen es auf sich beruhen, Kaltenbach würde ihnen schon nicht davonlaufen. Da sie in der Nähe des Römerhofs waren, statteten sie Lukas Doppler einen Besuch ab, um nachzufragen, ob ihm noch etwas eingefallen sei. Doch auch hier blieb der Erfolg aus. Lukas hatte sich den Tag frei genommen.
«Sie erreichen ihn aber zu Hause. Ich habe vor zehn Minuten mit ihm telefoniert», wurden sie von Daniel Notter, dem Chef de Service, orientiert.
«Sind Sie schon länger im Römerhof?»
«Etwa acht Jahre. Eine lange Zeit für einen Nomaden wie mich. Mitte Jahr ist aber Schluss.»
«Sie ziehen ein Haus weiter?»
«Nach Marbella ins Kempinski, mit meiner Freundin. Sie ist Spanierin. Für mich ist dies die Chance, in einem Fünf-Sterne-Resort zu arbeiten.»
«Sicher eine Herausforderung.»
«Ja und etwas ganz anderes. Im Moment ist unser Haus voll belegt. Es sind vor allem Gäste aus Japan, die jedes Jahr an die BASELWORLD kommen und alle Zimmer ein Jahr im Voraus buchen. Stammgäste sind für uns ein gutes und sicheres Geschäft. Wenn keine Messe stattfindet, haben wir praktisch jeden Tag neue Gäste, hauptsächlich Geschäftsleute und ein paar Touristen. Natürlich ist die Auslastung dann erheblich geringer.»
«Warum nur wenige Touristen? Städtereisen sind doch immer im Trend.»
«Die übernachten in Ketten, also eher im Hilton oder im Radisson. Diese Hotels sind auf der ganzen Welt gleich und Städtereisende, vor allem ältere, sind Gewohnheitstiere. Zudem schätzen sie den Luxus und den guten Service. Überraschungen möchten sie nicht erleben, auch keine positiven. Andere Touristen wiederum, die über ein kleines Budget verfügen, logieren in günstigeren Unterkünften. Sehr zu empfehlen ist etwa unsere Jugendherberge. Ich weiss nicht, ob sie dieses Vorzeigeobjekt kennen. Die Architekten Buchner & Bründler haben Bestehendes gekonnt mit Neuem verbunden. Aber ich schweife ab, bitte entschuldigen Sie.»
«Ein Mann mit Ihrer Erfahrung wird sicher nicht einfach zu ersetzen sein.»
«Vermutlich sucht Lukas keinen Ersatz.»
«Braucht es denn keinen Chef de Service?»
«Eigentlich schon, doch die finanzielle Situation ist schwierig. Es sind harte Zeiten für einen Hotelier, Herr Ferrari. Und die Renovation war alles andere als günstig. Lukas muss kämpfen. Er wird sich mein Gehalt sparen und selbst in die Hosen steigen.»
«Aber der Römerhof läuft doch ausgezeichnet.»
«Sicher besser als unter seinen Eltern. Aber ausgezeichnet? Nein, das bezweifle ich. Lukas versucht, seine Finanznot zwar zu überspielen, aber ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Wahrscheinlich sitzen ihm die Banken arg im Genick.»
«Wie kommen Sie darauf?»
«Jede noch so kleine Investition muss sich Lukas zwei Mal überlegen. Vor einem Monat ging der Fernseher im Aufenthaltsraum kaputt. Sie hätten ihn sehen sollen. Er drehte durch, wollte partout keinen neuen anschaffen, sondern den alten kostengünstig reparieren lassen. Sie dürfen mir glauben, für Lukas wirds eng. Gestern Abend war dieser Wiedmer von der Bank da. Den kenne ich, weil er immer mit den BHC-Spielern dabei ist. Da flogen die Fetzen, mein lieber Scholli!»
«Weil Doppler die Raten nicht bezahlen kann?»
«Genau weiss ich es nicht. Ich mach mir bloss so meine Gedanken.»
«Interessant.»
«Lukas konnte den Bankmenschen irgendwie besänftigen, zumindest im Moment. Doch im Mai wirds hart. Die nächste grosse Messe, die Art, geht erst im Juni über die Bühne. Ich überlege mir sogar, früher nach Spanien abzuzischen, damit einer weniger auf der Lohnliste steht.»
Nadine touchierte beim Ausparkieren mit dem linken Hinterrad das Trottoir.
«Scheisse! Jetzt ist die Felge hin. Und nur, weil das Arschloch zu nah aufgefahren ist.»
«Mit etwas Geduld wäre dir das nicht passiert. Zwei Mal hin und her anstatt nur ein einziges Mal. Die Felge hätte es dir gedankt. Ihr jungen Leute habt einfach keine Geduld.»
«Klugscheisser! Ich sollte dem Depp da vorne die Scheibe einschlagen.»
«Untersteh dich! … Jetzt stellt sich die Frage, was stimmt. Zahlt Lukas brav zurück oder steckt er in einer Finanzklemme?»
«Dein Bankkumpel ist bisher immer zuverlässig gewesen. Ich tippe darauf, dass Lukas auf hohem Niveau jammert. So getraut sich auch keiner der Angestellten, etwas zu fordern.»
«Um was ging es dann beim Streit mit Wiedmer?»
«Das fragen wir nach.»
«Einverstanden. Sich beklagen ist auch
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