Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
putzen. Die Whiskeyvorräte erschienen immerhin fast unerschöpflich. Kevin war schon dazu übergegangen, das Zeug medizinisch einzusetzen. Er erinnerte sich an die Erzählungen seiner Mutter von der Überfahrt von London nach Australien – der Schiffsarzt hatte befohlen, die fieberkranken Männer mit Gin abzureiben. »Die ganze Dienerschaft dieser Leute hier, die gehörten doch zu ihren Haushalten. Soviel ich weiß, gab es keine Stämme, zu denen sie zurückkehrten. Und auch da gab es Frauen …«
Greenway nahm einen tiefen Schluck.
»Hat Ihnen das niemand gesagt?«, erkundigte er sich. »Die Schwarzen haben ein eigenes Lager eine knappe Meile flussaufwärts. Und auch das ist Ihnen unterstellt.«
»Was?«, fragte Kevin entsetzt. »Und das sagen Sie mir erst jetzt?«
Greenway hob entschuldigend die Hände. »Ich dachte, Lindsey hätte es Ihnen gesagt. Oder die Einsatzleitung …«
»Und Sie haben sich nicht gewundert, dass ich mich nicht darum kümmere?« Kevin leerte sein Glas in einem Zug und goss sich neuen Whiskey ein.
Greenway zuckte die Schultern. »Lindsey hat sich auch nicht darum gekümmert. Ich glaube, er war nur ein einziges Mal da. Und ich … Himmel, Sie wissen, was ich hier zu tun habe …«
Kevin nickte und bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Wie sind die Zustände?«, fragte er heiser.
Greenway schluckte. »In mancher Hinsicht besser, in mancher schlechter als hier … es ist … anders.«
»Inwiefern anders?« Kevin wollte es jetzt wissen.
»Die Schwarzen bekommen keine Lebensmittel zugeteilt.Sie müssen dafür arbeiten – oder dürfen arbeiten, je nachdem, wie man es sieht. Wenn die Familie einen Ernährer hat, wenn die Frauen Gemüse anbauen – dann sind sie fein heraus. Es gibt da auch mehr Männer, viele sind freiwillig gekommen, nicht gezwungenermaßen wie die Buren. Teilweise kooperieren sie. In der Nähe der Schwarzen haben Burenkommandos keine Chance, deshalb siedelt man sie gern an der Bahnlinie an. Schlecht ist es für Familien, die nur aus Frauen und Kindern bestehen. Besonders in Camps, in denen Leute aus verschiedenen Herkunftsstämmen untergebracht sind. Da sind die einen den anderen oft nicht grün, und zu verschenken hat ja sowieso keiner was. Also hungern die Familien – die Sterberate in den Camps der Schwarzen ist höher als die in denen der Weißen.«
»Was sicher auch an der fehlenden ärztlichen Versorgung liegt«, bemerkte Kevin. »Ich reite morgen flussaufwärts. Ich muss mir das ansehen.«
»Dr. Drury …« Kevin und Greenway fuhren beide herum, als sie Cornelis’ Stimme hörten. Im Camp war längst Nachtruhe, was auch in aller Regel eingehalten wurde. Schließlich gab es nur vereinzelt Gaslampen und kaum Kerzen. »Verzeihen Sie mein Eindringen, ich habe gerufen, aber Sie haben es nicht gehört.«
Kevin nickte nachsichtig. Ein Klopfen oder leises Rufen an der Tür war im Wohnzimmer nicht zu vernehmen.
»Was liegt an?«
Cornelis senkte den Kopf. »Ich wollte darum bitten, dass man uns ein paar Taschenlampen zur Verfügung stellt. Wir müssen … das Lager absuchen, ein Mädchen ist verschwunden.«
Kevin sprang auf, aber Greenway rieb sich nur die Stirn. »Wenn sie im Lager ist, junger Mann, findet sie sich morgen auch noch. Ich weiß, die Frauen wollen das nicht wissen, aber es gibt … nun, es gibt auch unter diesen sehr … hm … christlich orientierten Frauen einige, die … nun ja, die sich gegen Essen oder Seife …«
Cornelis sah auf, sein Blick war hart. »… prostituieren, meinen Sie?«, fragte er böse. »Das mag sein, Sir. Aber nicht in diesem Fall. Das Mädchen ist Johanna VanStout.«
Kevin meinte fast, Schwindel zu spüren. Er hatte so etwas befürchtet, verdammt, er hätte das Mädchen im Hospital lassen sollen!
Resigniert griff er nach seiner Jacke. »Ich komme mit«, sagte er. »Und Sie alarmieren bitte die Wachleute, Dr. Greenway, die sollen Suchtrupps bilden. Ich werde außerdem im Ort anrufen, vielleicht erreiche ich meinen Freund.« Die Fernsprechleitung war eine Neuerung, die den Menschen im Lager zwar wenig nützte, aber immerhin nichts kostete und Kevin die Kommunikation mit den Militärdienststellen und Versorgungslagern im Ort erleichterte. Vincent erreichte er darüber auch fast immer, der Tierarzt stand für Notfälle auf Abruf. »Dr. Taylor kann sicher weitere Männer organisieren. Aber ich glaube, es bringt nicht viel, im Lager zu suchen. Gehen wir … gehen wir zum Fluss …«
Johanna VanStouts Leiche
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