Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
konstruieren, wenn es sein musste, auch Häuser bauen oder Land vermessen. Sie wollte eine richtige Werkstatt und Austausch mit Gleichgesinnten, sie wollte ihr Studium vollenden und an all den aufregenden Neuerungen teilhaben, die das 20. Jahrhundert zu bieten hatte. Vom Automobil zum Flugzeug. Atamarie wollte nicht nur mit Richard zusammen sein, sie wollte mit ihm fliegen!
Als die junge Frau schließlich am marae des hiesigen Stammes der Ngai Tahu ankam, hatte sie sich schon etwas beruhigt. Sie rief den alten Leuten, die hier Kinder beaufsichtigten, während ihre Söhne und Töchter auf den Feldern arbeiteten, Scherzworte zu und stieß schließlich auf ein paar junge Frauen in ihrem Alter, die dabei waren, auf einem Gartenstück kumara auszugraben. Atamarie half bereitwillig bei der Ernte der schmackhaften Süßkartoffeln und wurde gleich in ein Gespräch verwickelt. Natürlich ging es um Männer – die Frauen wollten alles von dem pakeha wissen, mit dem Atamarie zusammenlebte. Und wie immer bei den Stämmen ging es sehr offenherzig zu, keiner nahm ein Blatt vor den Mund.
»Muss man pakeha nicht eigentlich heiraten, wenn man das Lager mit ihnen teilt?«, fragte eine von ihnen, nachdem sie Atamarie damit geneckt hatten, dass ihr Mann zwar hübsch sei mit seinen weichen Locken und seinen vollen Lippen, aber sicher zu tapsig, um den Speer zu führen und einen haka zu tanzen. »Er hat einen Körper wie ein Krieger, aber sein Geist tändelt wie ein manu aute mit den Gesängen der Götter …«
Atamarie zuckte die Schultern. »Ich will noch nicht heiraten«, meinte sie dann. »Und Richard auch nicht. Aber ich … ich würde gern mit ihm von hier weggehen.«
Die Mädchen nickten.
»Er ist tohunga , sagen die Männer«, meinte die Älteste mit wissendem Gesichtsausdruck. »Er muss wandern, um zu lernen. Aber ich weiß nicht, ob er es tun wird. Die pakeha hier wandern nicht.«
Atamarie seufzte. Besser hätte man es nicht ausdrücken können. Richard musste fort. In Temuka bestellte man die Erde, man eroberte nicht den Himmel.
Auf dem Weg zurück zur Farm machte sie sich ans Pläneschmieden. Der erste Start des Motors war für den kommenden Morgen vorgesehen – Atamarie hatte darauf bestanden, ihn zunächst in der Werkstatt zu testen und erst später in das Flugzeug einzubauen. Aber wenn er rundlief, dann stand einem Flugversuch nichts im Wege. Vielleicht schafften sie es ja noch in ihren Ferien – auch wenn sie ihren Plan, die Großeltern in Lawrence zu besuchen, dann aufgeben musste. Wenn sich auch nur kleine Erfolge zeigten, wenn man Dobbins die Pläne für einen fertigen Flugapparat zeigen könnte, dann würde sich auch der Professor für Richard einsetzen. Bestimmt gab es eine Stelle an der Universität, vielleicht ein Forschungsstipendium.
Atamarie verlor sich in ihren Träumen von einer Förderung für Richard in Christchurch und einem endgültigen Abschied von der Farm – bis die Stille des Landes um sie herum von infernalischem Lärm unterbrochen wurde. Darauf folgte Hufgetrappel, und Atamarie konnte sich gerade noch zur Seite werfen, als ein Maultiergespann an ihr vorbeipreschte. Die Tiere zerrten einen Pflug hinter sich her, auf dem sich der schimpfende Digory Pearse festklammerte und verzweifelt versuchte, seine durchgehenden Tiere zu bremsen. Aber was hatte die sonst gelassenen Mulis so verrückt gemacht?
Atamarie ahnte Schreckliches. Sie setzte sich in Trab und entdeckte den Auslöser der tierischen Panik auch gleich nach der nächsten Wegbiegung. Auf einer leichten Anhöhe oberhalb von Richards Farm röhrte der Motor – und Atamarie sah zu ihrem Schrecken und Ärger, dass Richard ihn wieder in das Flugzeug eingebaut hatte. Dabei waren die Tragflächen bislang nur flüchtig repariert, all die Neuerungen noch nicht angebracht, auf die Atamarie gehofft hatte. Aber dafür hatte Richard natürlich keine Zeit gefunden, nachdem er sich spontan zu seinem nächsten Flugversuch entschlossen hatte. Er musste ungeheure Energie aufgebracht haben, um in den wenigen Stunden den Motor einzubauen und das Flugzeug den Hügel hinaufzuschleppen.
Atamarie fragte sich, was all das sollte. Wollte er Atamarie etwas beweisen – oder sich selbst oder seinen Eltern? Es war auf jeden Fall verrückt, mit der gleichen Konstruktion noch einmal zu starten, mit der Richard schon ein paar Wochen zuvor gescheitert war. Und natürlich hatte er auch wieder die Pferde vorgespannt! Atamarie schrie und winkte, um ihn
Weitere Kostenlose Bücher