Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
dann jedoch brauchte, war mehr als Geld. Bei allem Genie, er benötigte Anleitung, zumindest Austausch mit Gleichgesinnten. Nicht nur mit Anfängern wie Atamarie, sondern möglichst mit Koryphäen auf technischem Gebiet wie Professor Dobbins.
Atamarie nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Verkauf die Farm!«, erklärte sie entschlossen. »Nimm das Geld undbau einen Flugapparat, der … also der wirklich fliegt! Leg eine richtige Startbahn an. Es geht doch nicht, dass du immer in deiner Hecke landest, das ist auch gefährlich. Am besten kommst du mit mir nach Christchurch und suchst dir ein passendes Grundstück etwas außerhalb der Stadt. Du kannst weiterstudieren und nebenbei an deinem Flugapparat arbeiten.«
Richard lachte und spielte ziellos mit seinem Sammelsurium an Materialien und improvisierten Motorteilen. »Und wovon soll ich leben?«, fragte er.
Atamarie hob beschwörend die Hände. »Na, vorerst hättest du ja das Geld von der Farm«, meinte sie. »Und dann … Richard, wenn du der Erste bist, der ein motorgetriebenes Flugzeug in die Luft bringt, dann … dann hast du gewonnen, Richard! Dann steht dir die Welt offen, du wirst von allen Seiten unterstützt werden.«
Richard schaute sie an, als wäre sie nicht bei Trost. »Mein Vater würde mich umbringen!«, sagte er.
Atamarie rieb sich die Stirn. »Dein Vater würde es missbilligen«, berichtigte sie. »Wie er sowieso alles missbilligt, was du tust. Da kannst du ihn auch gleich richtig verärgern. Aber so ist es nichts Halbes und nichts Ganzes. Du bist kein guter Farmer, und du kannst auch kein guter Flugzeugkonstrukteur sein, weil es dir einfach an Mitteln fehlt. Entscheide dich, Richard! Tu das, was du wirklich willst!«
Richard schüttelte den Kopf und schien endlich wenigstens kurze Zeit zur Ruhe zu kommen. »Das kann ich nicht«, sagte er traurig. »Es ist ja nicht nur mein Vater, es sind auch meine Mutter, meine Geschwister … wenn ich mich von ihnen allen lossage, dann … dann wäre ich ganz allein.«
Atamarie empfand seine Worte wie einen Stich in ihr Herz. Er fürchtete sich vor dem Alleinsein? Und was war mit ihr? Hatte sie ihm nicht deutlich genug gemacht, dass sie auf seiner Seite war – an seiner Seite sein wollte?
Atamarie wollte schreien, ihm vorwerfen, dass er sie nicht liebte. Aber der verzweifelte Ausdruck in seinem Gesicht hielt sie davon ab. Vielleicht war es ja anders. Vielleicht glaubte er, dass sie ihn nicht liebte – oder nur dann, wenn er »funktionierte«, wie es offensichtlich bei seiner Familie der Fall war. Wie konnte er jedoch glauben, dass er ihr nichts bedeutete? Aufgewühlt ließ Atamarie den Lappen sinken, mit dem sie eben eine Zündkerze gereinigt hatte. Richard wollte am kommenden Morgen versuchen, den Motor erneut zu starten. Aber jetzt …
Atamarie hatte plötzlich das Bedürfnis, allein zu sein. Sie legte Richard die Hand auf die Schulter, bevor sie hinausging.
»Du wärst nicht allein«, sagte sie sanft. »Aber selbst wenn du es sein müsstest … Wäre es das nicht wert? Richard, wenn du immer nur zögerst, wirst du niemals fliegen!«
Atamarie verließ die Scheune und ihren Freund und lief hinaus in die Plains. Etwas ziellos zunächst, aber schließlich lenkte sie ihre Schritte in Richtung der Maori-Siedlung. Sie wollte lieber mit ihren Freunden dort zusammen sein, als etwa Joan Peterson zu besuchen oder gar mit Richards Vater zusammenzutreffen. Die Ernte war zwar vorbei, aber die Farmer bestellten jetzt schon wieder ihr Land, und Digory Pearse war sicher auf seinen, an Richards Land angrenzenden Feldern. Der Weg zu den Maori führte dagegen nur durch naturbelassenes Weideland, die Hügel rund um Temuka gingen hier in das typische Flachland der Plains über. Atamarie fand den Anblick der weiten grünen Ebenen, hinter denen sich fast greifbar nahe die Südalpen erhoben, beruhigend. Dabei fragte sie sich zum ersten Mal, ob sie in dieser Gegend leben wollte – denn wie es aussah, würde es darauf hinauslaufen, wenn sie mit Richard zusammenblieb.
Bisher war sie davon ausgegangen, dass Richards Leben alsFarmer nur eine Episode war. Der Mann war schließlich ein begnadeter Ingenieur, er gehörte in eine Stadt, an eine Hochschule. Und mit Atamarie war es genauso. Mit dem Leben auf der Farm ging es ihr wie mit dem Leben in Parihaka: Für eine kurze Zeit machte es Spaß, aber sie wollte weder zwischen Hühnerstall und Kinderzimmer alt werden noch zwischen Webstuhl und haka . Atamarie wollte Maschinen
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