Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
hielt das für durchaus mit seinem geistlichen Amt vereinbar. Der Bischof wartete nur auf weitere Beschwerden frömmelnder Gemeindemitglieder.
»Dann nehmen wir einfach das Dach«, raunte Rawiri Atamarie zu. Die beiden stellten verwundert fest, dass auf sie plötzlich niemand mehr achtete. Stattdessen diskutierte man angeregt Peter Burtons Einstellungen und die seines Bischofs. »Komm!«
Rawiri und Atamarie nahmen den manu whare mit und den birdman . Für den Vogelmann reichte der Wind nur knapp, aber Atamarie fühlte sich durch Dunloes Zweifel in ihrer Ehre gekränkt. Jetzt folgte sie Rawiri abenteuerlustig die Stiegen zum Speicher hinauf, begeistert von der Überraschung des Wiedersehens. Zum Glück hatte sie zur Eröffnung der Maori-Ausstellung eins der weiten, in Parihaka gewebten Gewänder gewählt, und nicht das hinreißende, aber unbequeme Kleid aus Lady’s Goldmine.
»Du bist doch schwindelfrei?«, vergewisserte sich Rawiri, als er ihr aufs Dach half.
Atamarie tat empört. »Ich wette, ich bin bereits höher geflogen als du!«, prahlte sie.
Rawiri lachte. »Sei jetzt trotzdem vorsichtig, nicht dass du ins Rutschen kommst. Setz dich auf den Dachfirst!«
Kurze Zeit später rief Roberta, die Atamaries und Rawiris halsbrecherische Kletterei besorgt vom Garten aus beobachtet hatte, die Ausstellungsbesucher heraus. Fasziniert lauschten sie auf Atamaries und Rawiris Gesang, während die beiden Drachen am Abendhimmel tanzten.
»Hast du für die Brüder Wright karakia gesungen?«, fragte Atamarie Rawiri, als sie geendet hatten.
Der Maori schüttelte den Kopf. »Nein. Die glauben nicht an so was. Und es war auch zu laut in Kitty Hawk … es war eine Show, Atamarie, kein … kein Gottesdienst.«
Atamarie fragte sich, ob es für Richard Pearse ein Gottesdienst gewesen war. Aber das Wort war natürlich falsch gewählt. Dennoch … sie erinnerte sich an ihren ersten Flug mitTawhaki, das Gefühl, als sie das Flugzeug getauft hatte … So ganz Unrecht hatte Rawiri nicht. Auch für sie war es etwas Spirituelles gewesen – zumindest hatte sie die in der Hecke wohnenden Geister beschwichtigt. Sie wollte dazu gerade eine scherzhafte Bemerkung machen, als Rawiri sie ansah.
»Hast du für Richard Pearse karakia gesungen?«, fragte er.
Atamarie runzelte die Stirn. »Woher weißt du …?«
»Dass du geflogen bist? Das habe ich in deinen Augen gesehen. Außerdem hast du es vorhin gesagt.«
Atamarie seufzte. »Merkst du dir alles, was ich so dahinrede?«, fragte sie ausweichend.
Sie wusste nicht, ob sie von Richard erzählen wollte.
»Jedes Wort von dir wird zu einem Lied in meinem Herzen«, sagte Rawiri schlicht, kam dann aber sofort auf Richard Pearse zurück. »Und dass er geflogen ist … na ja, das hat er Wilbur und Orville schließlich geschrieben …«
»Er hat was?« Atamarie wäre fast vom Dach gefallen. Rawiri hielt ihr die Hand hin, um sie zu sichern. »Richard hat den Brüdern Wright Briefe geschrieben?«
Rawiri nickte. »Aber ja. Die nahmen ihn allerdings nicht sehr ernst. Muss auch eine seltsame Korrespondenz gewesen sein. Mal schrieb er andauernd, mal schwieg er monatelang. Mal tauschte er sich wissenschaftlich aus, mal schien er verwirrt. Und durch den langen Postweg wurde das natürlich alles noch schwieriger. Wilbur und Orville hielten ihn jedenfalls für einen Spinner. Aber in Kontakt standen sie schon seit Jahren. Diese Leute kennen sich alle.«
»Mir hat er nie davon erzählt«, murmelte Atamarie. »Er hat ihnen … er hat ihnen wirklich geschrieben, er sei geflogen?«
Rawiri zuckte die Schultern. »Sie haben mich ihre Briefe nicht lesen lassen. Aber irgendwann schrieb er wohl, es ginge nicht, er sei nicht geflogen, Gott wolle nicht, dass Menschen fliegen … es ging irgendwie um eine Hecke.«
Atamarie seufzte. »Die saß zugegebenermaßen voller Geister. Aber davon abgesehen – wenn er den Brüdern Wright von seinem Flieger geschrieben hat und von diesem Flugversuch, dann müssen die eigentlich die richtigen Schlüsse gezogen haben. Sie müssen gewusst haben, dass er geflogen ist oder kurz davor stand. Und dann inszenierten sie ihren Flug … Himmel, Rawiri, wie konnte er nur so dumm sein!«
Atamarie rechnete blitzschnell nach. Es kam hin. Die Brüder Wright hatten ihren ersten Flug forciert, nachdem Richard aufgegeben hatte. Sie hielten ihn für einen Spinner, aber sie wussten, dass er geflogen war, und wollten kein Risiko eingehen, nicht die Ersten zu sein.
»Du hast für
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