Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
doch nur ein dummer Maori-Junge, der meinte, er könnte fliegen, indem er sich singend ins Meer stürzte.«
Atamarie grinste. »Das ist auch nicht schlimmer als schweigend in eine Hecke«, bemerkte sie. »Außerdem – Richard hat auch keinen Hochschulabschluss. Trotzdem hat er sein Flugzeug gebaut. Und das flog besser als das der Wrights.«
Rawiris Gesicht verfinsterte sich. »Warum muss eigentlich immer Richard Pearse dabei sein, wenn wir reden?«, fragte er leise. »Wir sprachen von den Wrights. Und von mir. Aber immer wieder kommst du zurück zu ihm. Liebst du ihn noch, Atamarie? Du weißt, dass ich … Ich will dich nicht drängen, Atamarie. Aber ich dachte mir, wir gehen vielleicht beide nach Christchurch. Du sagst doch, der Professor hat dir eine Stelle am Institut angeboten. Ich hatte gedacht, du würdest sie vielleicht annehmen. Und ich könnte am Canterbury College studieren – Ingenieurwissenschaften. Ich möchte auch Flugzeuge bauen … einen Motor zum Singen bringen. Hast du darüber mal nachgedacht, Atamie? Dass sie singen … flüstern mit den Geistern?«
Atamarie lächelte. Sie hatte oft auf das Geräusch des Ottomotors gehört. Auch für sie war es Musik, wenn er rundlief. Aber flüstern?
»Du glaubst, irgendwann wird es Motoren geben, die … flüstern?«, fragte sie.
Rawiri zuckte die Schultern. »Warum nicht? Ich könnte mir vorstellen, sie könnten leiser werden. Sie sollten den Windnicht übertönen … und sie dürfen nicht so laut sein, dass die Menschen ihre Gedanken nicht mehr hören.«
Atamarie überlegte. »Wenn man die Vibrationen verringern könnte …« Ihre Augen blitzten interessiert.
Rawiri schüttelte den Kopf. »Vergiss jetzt erst mal den Motor, Atamarie«, sagte er. »Ich muss wissen, was noch zwischen dir und Richard Pearse ist. Wirst du wieder weggehen, um mit ihm zusammen zu sein? Und zurückkommen, wenn er dich nicht mehr will? Ich bin vielleicht die zweite Wahl, Atamarie, aber irgendeine Wahl wirst du schon treffen müssen.«
Atamarie lehnte sich an den jungen Maori. Die beiden waren zum Strand gegangen, um Atamaries Drachen steigen zu lassen. Rawiri beharrte darauf, dass man sie nicht in einem Museum einsperren dürfte, und Atamarie hatte inzwischen fast das Gefühl, als ob er Recht hätte. Die anderen Exponate in Reverend Burtons Gemeindesaal schienen an Glanz zu verlieren, nun, da man sie aus den marae und wharenui , von den Hälsen ihrer Träger und den Wänden der Versammlungshäuser entfernt hatte. Aber die manu gewannen an Leben. Sie rochen nach Meer, wenn sie am Strand geflogen waren und der Wind ihnen die Federn, mit denen sie geschmückt waren, zerzaust hatte. Er gab ihnen einen anderen Ausdruck. Der Vogelmann schien von Abenteuern in den Lüften zu erzählen, der Habicht blickte grimmig, und das Kanu schwieg über die Geheimnisse der Ahnen.
Jetzt lagen die manu neben Atamarie und Rawiri im Sand, während die beiden Bier tranken und aufs Meer blickten. Atamarie hatte bislang stets Abstand zwischen sich und Rawiri gehalten, aber jetzt zog es sie näher zu ihm.
»Ich weiß nicht, ob ich eine Wahl habe, Rawiri«, seufzte sie. »Ich könnte dich lieben, vielleicht tue ich es schon. Aber manchmal fühle ich mich, als wäre eine aho tukutuku zwischen mir und Richard … Flachs. Flachs reißt nicht so leicht.«
»Roberta sagt, er habe wahrscheinlich geheiratet«, sagte Rawiri und sah Atamarie fragend an. »Ist … das Band nicht dadurch zerrissen?«
Atamarie zuckte die Schultern. »Ich kann’s noch spüren, Rawiri. Ich kann nichts dafür. Es ist stärker als ich.«
»Mit anderen Worten: Er brauchte die Leine nur einzuholen«, meinte Rawiri bitter und suchte ihren Blick.
Atamarie sah weg. »Lass mir Zeit«, murmelte sie. »Lass mir einfach Zeit.«
Roberta kam entschieden zu früh. Eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit stand sie vor dem Haus in der Lower Stuart Street, um gemeinsam mit Atamarie und Matariki – und natürlich Doortje und Kevin – ein Konzert zu besuchen. Dabei redete sie sich ein, dass dies ein Zufall war. Ebenso wie es nur aus einer Laune heraus geschehen war, dass sie den Spaziergang ins Stadtzentrum einer Fahrt in Seans und Violets Kutsche vorgezogen hatte. Ihre Eltern bewohnten ein Haus in einem Vorort, Roberta hatte eine gute halbe Stunde laufen müssen. Aber die Luft war wirklich frisch an diesem Tag – und Kevin würde bestimmt noch in seiner Praxis sein, während Doortje, Atamarie und Matariki sich für das
Weitere Kostenlose Bücher