Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
zur Gebetsstunde wollte sie ordentlich aussehen – das musste sie; bevor ihre Mutter erblindet war, hatte sie das Mädchen oft genug zurück auf sein Zimmer geschickt, um eine nicht perfekt geglättete Haube auszutauschen oder eine fleckige Schürze. Doortje war es schwergefallen, das zu lernen, sie arbeitete sehr viel lieber auf dem Feld als im Haus, und wenn sie ehrlich sein sollte, steckte sie den Kopf am liebsten in Bücher. Aber das war natürlich sündig – wenn auch mitunter nützlich. Doortjes Vater hatte darauf bestanden, dass seine Kinder Englisch lernten, die Sprache des Feindes. Es sei leichter, einen Feind zu besiegen, den man kenne, predigte er, und Doortje leuchtete das ein. Es war allerdings nicht einfach, eine Sprache gleichzeitig sprechen und hassen zu lernen. Keinem anderen der Geschwister war das wirklich gelungen, aber Doortje war natürlich auch lange Zeit die einzige Schülerin gewesen, die Adrianus VanStouts halbherzigen Unterrichtsstunden vor der Abendandacht beigewohnt hatte. Und sie hatte sich angestrengt, ihrem Vater zugefallen – enttäuschte sie ihn doch sowieso bei jedem Blick, den er auf sie warf.
Adrianus VanStout hatte sich einen Sohn gewünscht, aber tatsächlich hatte Bentje nur ein Mädchen zur Welt gebracht und war dann jahrelang nicht mehr schwanger geworden. Doortje hatte jeden Tag mitanhören müssen, wie ihre Eltern darum beteten, endlich mit weiteren, möglichst männlichen Kindern gesegnet zu werden. Erst als Doortje schon acht Jahre alt war, kam Johanna zur Welt. Wieder ein Mädchen. Etwa um diese Zeit hatte Adrianus die Hoffnung dann wohl fast aufgegeben und die sorgfältige, streng puritanische Erziehung, die er eigentlich seinen Söhnen angedeihen lassen wollte, auf Doortje konzentriert. Doortje lernte die Geschichte ihres Landes, sie lernte, wer ihre Feinde waren und wie man sie bekämpfte. Sie lernte, wie sie sich als Burenkriegerin zu verhalten hatte, lernte hart zu sein gegen sich und andere – niemand hatte Doortje VanStout jemals weinen sehen, seit ihre Schwester geboren worden war.
Aber dann hatte Gott doch noch ein Einsehen gehabt und seinem treuen Diener Adrianus zwei Söhne geschenkt. Mees und Thies bildeten seitdem den Mittelpunkt der Familie. Mutter und Schwestern umhegten sie, und der Vater wurde nicht müde, sie zu würdigen Erben zu erziehen. Bis er vor ein paar Monaten in den Krieg gezogen war, hatte er die Jungen jeden Tag unterrichtet – beide konnten bereits schießen und sprachen auch schon etwas Englisch.
Doortjes Erziehung sah Adrianus inzwischen als beendet an. Sie konnte schreiben, die Bibel lesen und sich annehmbar auf Englisch ausdrücken. Dazu selbstverständlich schießen und einen Haushalt führen. Mehr wurde von einem Burenmädchen nicht verlangt, im Gegenteil, es galt fast als sündig, sich um weitere Bildung zu bemühen. Doortje konnte sich jedoch nicht damit abfinden. Immer wieder schlich sie sichnach der Abendandacht zu dem Bücherregal, in dem neben der Familienbibel auf Niederländisch auch zwei englische Bücher standen, und quälte sich mit einer Funzelkerze durch die seltsame Sprache von William Shakespeare. So eignete sie sich ein immer größeres Vokabular an. Cornelis hatte allerdings gelacht, als er sie zum ersten Mal sprechen hörte.
»Doortje, so reden die Engländer nicht! Diese Bücher wurden vor dreihundert Jahren geschrieben. Inzwischen hat sich die Sprache völlig verändert …«
Danach hatte er ihr heimlich weitere Bücher geliehen. Modernere Bücher von Dickens und Kipling. Cornelis’ Familie, die Pienaars, lebte in Transvaal und hatte den Großen Treck mitgemacht. Ein weiterer Zweig der Familie war jedoch am Kap geblieben und baute dort Wein an. Eine Todsünde in den Augen des Adrianus VanStout.
»Gott wird sie eines Tages dafür strafen«, wiederholte Doortje ein bisschen besorgt die Worte ihres Vaters und hoffte, dass es die Familie ihres Vetters Cornelis nicht gleich mittreffen würde. Sie mochte Cornelis gern, auch wenn der manchmal verbotene Sachen dachte oder gar tat.
»Na, bisher lässt er die Trauben ganz üppig wachsen!«, bemerkte Cornelis denn auch diesmal respektlos zu ihren Vorwürfen. »Die Kap-Buren sind reicher als wir!« Der junge Mann wusste das aus eigener Erfahrung, er hatte seine Verwandten am Kap mehrmals besucht.
Auch Cornelis’ Eltern hielten es für wichtig, dass er Englisch lernte, vertraten dabei aber einen praktischeren Ansatz. Cornelis lernte nicht nur aus einem
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