Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
sich Fältchen eingegraben.
»Mejuffrouw Doortje, Sie sind doch eine kluge Frau«, begann Kevin etwas hilflos. »Sie müssen erkennen, in welchem Zustand dieser junge Soldat ist, den wir vorhin hergebracht haben …«
»Mein Vetter Cornelis«, bemerkte Doortje. »Sein Leben liegt in Gottes Hand …«
»Ihr Vetter!«, meinte Kevin fast erleichtert. »Dann … dann empfinden Sie doch vielleicht etwas Zuneigung für ihn. Über den … hm … Patriotismus hinaus. Vielleicht … Miss Doortje, Sie müssen uns erlauben, Ihren Vetter zu operieren. Wenn nicht, wird er sterben … Er wird verbluten.«
»Mein Vetter befindet sich auf dem Weg der Besserung«, behauptete Doortje. »Meine Tante sagt, in den letzten Stunden habe er keinen Tropfen Blut mehr verloren.«
Kevin seufzte. »Natürlich nicht. Sonst wäre er schon tot. Miss Doortje, Dr. Tracy und ich haben das Bein abgebunden. Im Moment fließt kein Blut in die offene Arterie. Aber es fließt auch kein Blut in die anderen Adern. Das heißt, sein Fuß und sein Bein werden absterben. Noch ein paar Stunden, dann können wir es nur noch amputieren.«
»Er kann auch mit einem Bein leben«, bemerkte Doortje, aber es fiel ihr schwer, unbeteiligt zu tun.
Cornelis war eher ein Bücherwurm als ein Bauer. Aber erhatte auch nicht Priester werden wollen, nicht mal Kirchendiener wie Martinus. Er ritt gern, er ging gern über das Veld und beobachtete die Tiere – einmal hatte er ihr gestanden, dass er gern Tierarzt geworden wäre. Aber seine Eltern würden ihn natürlich nicht studieren lassen. Trotzdem hatte er sich liebevoll um die Ponys gekümmert, den Rindern beim Kalben geholfen … mit nur einem Bein würde das schwierig werden.
»Er wird auch dann sterben, Miss Doortje, wenn wir ihn nicht operieren«, sagte Kevin eindringlich. »Das Bein fällt ja nicht einfach ab, es verfault langsam. Das wäre Ihrem Vetter nicht zu wünschen, es ist ein sehr viel schlimmerer Tod als Verbluten. Er müsste jetzt schon starke Schmerzen haben. Ist er bei Bewusstsein?«
Doortje biss sich auf die Lippen. Wenn sie ehrlich sein sollte, hatte sie es bis jetzt vermieden, an Cornelis’ Lager zu treten. Es war zu schmerzlich, ihn so bleich und krank zu sehen. Er war immer ihr Freund gewesen.
»Ich glaube nicht«, sagte sie, zum ersten Mal mit normaler Stimme. »Ich glaube, er ist noch bewusstlos.«
Kevin nickte. »Das ist besser für ihn. Aber es bleibt nicht so, Miss Doortje. Zumindest halte ich das für unwahrscheinlich, so viel Blut hatte er noch nicht verloren, dass er jetzt langsam hinüberdämmert. Er wird aufwachen, und er wird unter Schmerzen sterben. Lassen Sie ihn mich operieren, Doortje, bitte!«
Doortje sah den jungen Arzt prüfend an. Er schien es wirklich ernst zu meinen. Aber konnte sich ein Untertan der englischen Krone um einen Buren sorgen? Eher nicht. Doortje verhärtete sich erneut, wie sie es gelernt hatte.
»Ich bestimme nicht über meinen Vetter, Doktor. Seine Mutter ist bei ihm, reden Sie mit ihr.«
Kevin hätte das Mädchen am liebsten geschüttelt. Es sah so hübsch aus, es war so klug – und eben verurteilte es seinenVetter zum Tode, aus reinem Starrsinn, aus unsinnigem Patriotismus – und mit Verweis auf einen archaischen Glauben …
Verzweifelt wies er auf die Bibel in Doortjes Hand. »Lesen Sie das gelegentlich?«, fragte er provozierend. »Also auch die Passagen, die nicht von ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹ handeln? Es geht mitunter um Barmherzigkeit. Um Liebe zu seinem Nächsten. Um Hilfe für Hilfsbedürftige. Glauben Sie wirklich, Ihr Vetter will sterben? Denken Sie mal darüber nach …«
Kevin wandte sich ab, bevor Doortje etwas erwidern konnte. Aber nun rief auch ihre Mutter von drinnen. Die junge Frau folgte dem Ruf, obwohl sie sich ganz schwindlig fühlte. Die Stube war von Öllampen erhellt, aber Doortje tastete wie blind nach ihrer Bibel. Sie schlug sie an irgendeiner Stelle auf. Das Buch Jonathan. So rettete der Herr Israel an demselben Tag …
Das schien passend zu sein. Irgendwie ging es um den Krieg der Israeliten gegen die Philister, und Israel schien eben in einer ungünstigen Lage. Genau wie die Buren zurzeit. Das sah gut aus … Doortje begann zu lesen.
»Und Saul beschwor das Volk und sagte: Verflucht sei jeder, der vor dem Abend etwas isst, bis ich mich an meinen Feinden gerächt habe! Und das ganze Volk kostete keine Speise, obwohl die Zeit der Honigernte gekommen war und Honig auf der Fläche des Feldes floss.
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