Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
René und Catherine wunderten sich, wie wenig Begeisterung ihre Herrin für das köstliche Mahl zeigte; dabei wurde ein Gericht nach dem anderen aufgefahren. Charles ließ es sich schmecken und nickte anerkennend, Alessandro schnalzte genüsslich mit der Zunge und vermied es, mit Louise über Geld zu reden, die dafür offensichtlich nicht den Kopf freihatte.
Die Köchin Jeannette hatte sich selbst übertroffen, und was das Essen betraf, so war das Budget von Louise gut ausgestattet. Catherine hatte ein großes Herz und sammelte manchmal die guten Reste ein, um sie den Armen zu geben. Wenn es ihnen nicht gelungen war, einen Hasen oder ein Rebhuhn zu wildern, hatten viele arme Leute nämlich nichts Vernünftiges zu essen. Wer allen Sanktionen zum Trotz wildern ging, stand immer vor der gleichen Alternative: Entweder man hatte wieder einmal Glück und wurde nicht erwischt oder man wurde ohne Erbarmen mit dem Tod bestraft.
Louise und Marguerite saßen rechts und links neben Charles de Bourbon, während Alessandro zwischen Alix auf der rechten und Antoinette auf der linken Seite Platz genommen hatte.
Charles hatte gerade seine fantastische Geschichte erzählt, die beinahe tragisch geendet wäre, und in allen Einzelheiten ausgeschmückt, als Alessandro mit seiner aufwartete, die nicht weniger spannend war als die des Herzogs von Bourbon.
Louise hatte nur Augen für ihren Geliebten, aber als Marguerite ihn ansah, warf er ihr verwegene Blicke zu. Marguerite zwang sich, diesen Blicken auszuweichen, damit ihre Mutter nicht darauf aufmerksam würde. Obwohl sie es sehr angenehm fand, mit ihm zu plaudern, weil er ein ausgezeichneter Gesprächspartner war, mochte sie ihren Cousin nicht besonders.
Alessandro lobte in den höchsten Tönen die braven Bauersleute, die ihnen vermutlich das Leben gerettet hatten, und Charles berichtete noch einmal von dem traurigen Ende des Pferds seines Schildknappen. Die Pferde der beiden hohen Herren hatte man in den behaglich warmen Stallungen von Schloss Amboise untergebracht, wo sie von Philibert bestens versorgt wurden.
Antoinette lächelte Marguerite zu, die Sehnsucht nach Blanche hatte, weil sie ihre beruhigende Art vermisste. Sie ertrug es nämlich nicht, wenn ihre Mutter solche Augen machte. Als sie früher Saint-Gelais zärtliche Blicke zugeworfen hatte, gehörte das zum Familienalltag. Bei Charles de Bourbon fühlte sich Marguerite völlig ausgeschlossen.
»Das Essen war hervorragend, Louise«, sagte Antoinette mit einem zufriedenen Seufzer.
Sie trug ein rotes Kleid mit schwarzen Samtbesätzen, was sehr gut zu ihrem Teint passte, der die Farbe reifer Pfirsiche hatte. Ausnahmsweise trug sie keine Haube, sondern nur ein zierliches Spitzentuch, unter dem ein dicker Zopf hervorlugte, und man konnte die silbernen Fäden sehen, die ihr schönes dunkles Haar durchzogen.
Ach, wie lange war es her, dass sich die geschickten Hände des Grafen d’Angoulême in ihrem üppigen Haar vergruben, ehe sie zu weiteren Liebkosungen wanderten! Charles d’Angoulême, der Mann ihres Lebens! Noch heute brauchte es nicht viel, um Antoinettes Gefühle in Wallung zu bringen. Nicht einmal Jeanne war zu ähnlich zärtlichen Erinnerungen fähig. Und auch nicht Louise, die gerade zu erraten versuchte, was diese Nacht mit dem Duc de Montpensier wohl bringen würde, konnte das von sich behaupten. Was für ein langer gemeinsamer Weg, wie viel Reue und wie viel Freude, um nicht zu sagen hoffnungsvolle Ungewissheit!
Das Bild ihres Gatten war für Louise in weite Ferne gerückt, es
war nur mehr der blasse Widerschein einer Liebelei mit dem kleinen Mädchen, das Louise damals war – auch wenn ihr der Graf zwei Kinder gemacht hatte.
Ob sie ihn wohl geliebt hatte? Antoinette war lange überzeugt gewesen, dass ihre Gefährtin die Liebe erst viel später entdeckt hatte. Offen gesagt hatte sie dieser Gedanke so oft getröstet, dass sie ihn jetzt nicht in Frage stellen wollte.
Natürlich war Louise über den Tod ihres Gatten betrübt gewesen. Aber musste man sich als zwanzigjährige Witwe gleich mitbegraben lassen? Wer wollte ihr Vorwürfe machen? Obwohl sie sich immer klug und diskret verhalten hatte und ihre Liebe zu dem jungen Dichter Saint-Gelais, dem Lehrer ihrer Kinder, der Vergangenheit angehörte, hatte nun ein anderer die Nachfolge bei ihr angetreten. Und bei Alix verhielt es sich nicht anders.
Antoinette hatte es zunächst abgelehnt, an diesem späten Mahl teilzunehmen, das Louise und ihre Tochter, den Duc
Weitere Kostenlose Bücher